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Der Schattenesser

Der Schattenesser

Titel: Der Schattenesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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auch sein mochte, er hatte die Tugenden der Gastfreundschaft nicht verlernt.
    »Kommt mit«, bat er. »Ins Kaminzimmer. Warm dort. Werde derweil Essen holen, nicht viel, aber kräftig.«
    Sie folgten ihm erneut, diesmal in ein Nebenzimmer. Überall zertrümmerte Stühle und Schränke. Auf einem Tisch, der wundersamerweise heilgeblieben war, lagen gewaltige Papierbögen, darauf eine Unzahl kleiner, scharfer Messer. Mit ihnen mußte Zdenek seine Gerippe aus dem Papier schneiden. Als sie näher herantraten, erkannte Michal, daß ein weiteres Skelett bereits zur Hälfte vollendet war. Seine Form war nicht vorgezeichnet, Zdenek schnitt sie freihändig aus dem Bogen.
    Auch dieser Raum war angefüllt mit zahllosen Papier-Skeletten, stehend und sitzend, liegend und hängend. Eine merkwürdige Gesellschaft, in die sie da geraten waren.
    »Ihr benutzt all Euer Papier, um diese ... Figuren zu gestalten?« fragte Michal fassungslos.
    »Wozu sonst?« entgegnete der Alte. »Buchdrucker in Prag bestellen keins mehr. Viele, viele Rollen, drüben im Schuppen . Wohin damit, wenn nicht unters Messer? Noch genug für zehntausend Knochenfrauen.«
    Michal brauchte einen Augenblick, ehe ihm klarwurde, was so merkwürdig an Zdeneks letzten Worten war. Knochen/rauen hatte er gesagt. Dabei sah doch ein Gerippe aus wie das andere, und keines war der Natur so ähnlich, daß man zwischen Mann oder Weib hätte unterscheiden können. Trotzdem sprach der Alte von Frauen .
    Vielleicht, so sagte sich Michal, zog er einfach die weibliche Gesellschaft der männlichen vor, ja, das mochte Erklärung genug sein.
    »Wartet hier«, wies Zdenek sie an. »Hole Essen.«
    Im Kamin des Zimmers brannte ein mageres Feuer. Der Alte hatte nur drei Holzscheite aufeinandergelegt, als müsse er sparsam damit umgehen, trotz der vielen Stämme, die hinter dem Haus lagerten. Michal war versucht, eines oder zwei der Gerippe in die Flammen zu werfen, um sie weiter zu schüren, doch er fürchtete, daß Zdenek der Verlust trotz der Vielzahl seiner Skelette auffallen würde. Michal schämte sich plötzlich für den Gedanken: Es konnte wohl kaum an ihm sein, den verbliebenen Besitz des alten Mannes, so merkwürdig er sein mochte, zu verbrennen.
    So ließen er und Nadjeschda sich nah am Feuer nieder und genossen die knisternde Wärme. Selbst Modja verstummte mit ihrem Kindergelalle und streckte neugierig die Ärmchen nach den Flammen aus.
    Nach einer Weile kehrte Zdenek mit einem großen Korb zurück. Darin lag eingekochtes Obst, zwei harte Brotlaibe, ein paar Äpfel und Maiskolben. Dazu gab es zwei Krüge mit Bier, leicht abgestanden, das ihnen trotzdem herrlich schmeckte, außerdem einen weiteren Krug mit Milch. Nadjeschda nippte vorsichtshalber daran, doch sie schien einigermaßen frisch.
    Sie aßen und tranken voller Dankbarkeit für die unverhoffte Wohltat, doch immer wenn einer von ihnen ein Gespräch beginnen wollte, schüttelte der Alte den Kopf. »Erst essen«, sagte er knapp.
    Das taten sie, Nadjeschda flößte Modja Milch ein, dann machten sie es sich vor dem Feuer auf ihren Mänteln gemütlich. Michal rollte die Decke aus, auf der auch Zdenek Platz fand. Als sie nun so beieinandersaßen, fragte Michal:
    »Wann waren die Soldaten bei Euch?«
    »Drei Wochen her«, gab der alte Mann zur Antwort. »Vielleicht vier. Machten alles kaputt, außer Haus und Papier. Regen löschte Feuer, bevor Flammen übergreifen konnten, deshalb nur ein Schuppen verbrannt. Viele Tote. Viele auch geflohen und wahrscheinlich später getötet.«
    »Habt Ihr seither Nachricht aus Prag oder anderen Teilen des Landes erhalten?«
    »Zweimal, ja. Nicht aus Stadt, aber aus Osten und Süden. Flüchtlinge, die herkamen. Alle wollten weiter nach Prag.«
    »So wie wir«, bemerkte Nadjeschda.
    Der Papiermacher hob die Schultern. »Traurig. Hier
    sicher, weil Soldaten weitergezogen. Kommen bestimmt nicht wieder.«
    »Aber Gabors Männer sind überall«, widersprach Michal.
    »Kommen aber nicht zweimal zu selben Ort.«
    »Was macht Euch da so sicher?«
    »Männer haben Angst, wollen weiter nach Westen und Norden, nach Prag und weiter weg. Furcht sehr stark in Köpfen.«
    Verwundert runzelte Michal die Stirn. Vielleicht war der Alte doch verrückter, als sie angenommen hatten. »Wovor sollten sie sich fürchten? Der König hat genug mit der Verteidigung Prags zu tun, er kümmert sich nicht um das Landvolk. Hier gibt es niemanden, der den Soldaten Gabors angst machen könnte, das kann ich Euch

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