Der Schattenesser
Söldner, sondern festes Beinzeug, Hemden und Wämser mit Lederbesatz und schmucklose Hüte. Nur die höheren Ränge schmückten sich mit bunten Federn, mit Mänteln und Harnischen.
Michal wurde an den Armen gepackt und nach vorne gestoßen. Der Aufruhr, den sein plötzliches Auftauchen inmitten der Zelte verursacht hatte, legte sich schlagartig. Männer, die durch seine Schreie geweckt worden
waren, krochen müde zurück in die Zelte. Andere knieten sich wieder vor die Kochtöpfe über ihren Lagerfeuern und rührten darin mit hölzernen Löffeln. Einer lag sogar im Gras und blätterte in einem schweren Buch, was eine Bildung verriet, die Michal nicht erwartet hatte. Im Vorbeigehen gelang es ihm, einen Blick auf die offenen Seiten zu werfen, und er sah, daß sie mit glänzendem Gold beschrieben waren. Zweifellos hatte der Kerl das Buch beim Plündern eines Klosters oder einer Kirche erbeutet und begutachtete nun sein Diebesgut, ohne nur ein Wort davon zu begreifen.
Ein Soldat redete ununterbrochen auf Michal ein, in einer Sprache, die er nie zuvor vernommen, geschweige denn verstanden hatte. Während sie ihn weiter durchs Lager stießen, offenbar der Mitte entgegen, schwirrten ihm die fremdländischen Worte des Sprechers um die Ohren und klangen dabei seltsam melodisch. Er versuchte, all seine Aufmerksamkeit auf seine Fußsohlen zu lenken. Zitterte der Boden schon? Unmöglich, das festzustellen, so lange man ihn mit Schlägen und Tritten vorwärtstrieb.
Das Lager war straff nach einem durchdachten Plan errichtet, angelegt in einem weiten Rund, das das ganze Tal ausfüllte. Sternförmig liefen breite Wege zu einemmächtigen, vielgiebeligen Zelt im Mittelpunkt, zweifellos die Unterkunft des Fürsten. Die Zahl der übrigen Zelte mußte in die Hunderte gehen, bewohnt von Tausenden von Kriegern.
Während des Weges drangen Michal die unterschiedlichsten Gerüche in die Nase. Roch es bei einem Schritt noch wohlig nach Gebratenem, überkam ihn beim nächsten schon der Gestank menschlicher Ausscheidungen. Solcherlei Wahrnehmungen endeten abrupt, als einer der Soldaten ihm krachend ins Gesicht schlug und seine Nase brach. Plötzlich roch alles nur noch nach heißem Blut.
Sie brachten ihn nicht zu dem großen Zelt in der Mitte
- Fürst Bethlen Gabor hätte sie fraglos geköpft, hätten sie es gewagt, ihn wegen eines Wahnsinnigen zu stören -, sondern schleuderten ihn abfällig in den Schmutz vor einer geräumigen Unterkunft aus Stangen und zusammengezurrten Lederflicken. Als Michal sein Gesicht aus dem Schlamm erhob, hustend und mit breitgeschwollener Nase, fiel sein trüber Blick auf einen Mann, der sich sorgenvoll über ihn beugte.
»Sie haben dir übel mitgespielt, was, mein Freund?«
Die Stimme klang rauh und hatte einen starken Akzent in der Aussprache, nicht aber in der Stellung der Wörter. Sie mußte einem gebildeten Mann gehören, der Michals Sprache sorgfältig vom Papier erlernt hatte, jedoch wenig Gelegenheit bekam, sie zu sprechen.
Michal gab keine Antwort und ließ statt dessen den Kopf auf den Boden sacken. Sollten sie denken, er sei erschöpft! In Wahrheit preßte er nur sein Ohr an die Erde, um auf fernes Beben zu lauschen. Ja, jubelte er in Gedanken, da war es! Dann bemerkte er, daß er nur das heftige Hämmern seines eigenen Herzens vernahm.
»Du bist stark«, sagte der Mann und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Du mußt viel erlitten haben. Ich glaube, du hast es verdient, noch eine Weile länger zu leben.«
Der Mann stieß ein paar scharfe Sätze in der fremden Sprache aus. Einer der übrigen Soldaten schien zu widersprechen, wurde aber mit wüstem Geschrei zur Ruhe gebracht.
Wieder wurde Michal gepackt, diesmal an Armen und Beinen. Man schleppte ihn in das Zelt und warf ihn unsanft auf einen Stapel aus Fellen und Tuch. Michal blickte starr zur Decke empor, während die Soldaten sich nach draußen zurückzogen. Schließlich beugte sich wieder der Mann über ihn.
»Du mußt starke Schmerzen haben«, stellte er fest
und betastete unsanft Michals gebrochene Nase. »Völlig zertrümmert«, sagte er dann. »Wo tut es noch weh?«
Michal gab keine Antwort.
Der Mann seufzte. »Ich kann nur helfen, wenn du mir sagst, wo es nötig ist.«
Michal schloß die Augen, öffnete sie wieder und atmete tief durch. Du mußt Zeit gewinnen, dachte er, möglichst viel Zeit gewinnen.
Er sah den Mann erstmals direkt an und fragte: »Wer bist du?«
»Balan ist mein Name. Ich will dir
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