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Der Schattenesser

Der Schattenesser

Titel: Der Schattenesser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Flasche leer, denn ein Gewissen war natürlich unsichtbar, selbst hier, im Wahnland. Es war beruhigend, daß sich wenigstens einige Dinge an die Regeln der Vernunft hielten.
    »Ich wäre schön dumm, ein Kind zu essen, wenn ich einen ausgewachsenen Kerl haben kann, oder ein Weib«, sagte die Alte kauend.
    »Wie wahr«, pflichtete das Gewissen bei.
    »Trotzdem bin ich wählerisch.«
    »Natürlich, natürlich.«
    »Ich esse nur den, von dem ich etwas lernen kann.«
    »Wie von dem Kind mit der Flöte.«
    »Ja, ja«, murrte die Alte, »aber seitdem kann ich Flöte spielen.« »Nicht schön, aber immerhin.«
    »Ich werd dir ein Ständchen bringen, daß dir Hören und Sehen vergeht.«
    »Kann sowieso nichts sehen«, entgegnete das Gewissen. »Hab keine Augen. Kann auch nicht hören. Fühle nur, was du sagst, weil wir eins sind.«
    »Wie willst du dann wissen, ob mein Flötenspiel schön ist?«
    »Ich weiß, wie schön du singst.«
    Die Alte kicherte wissend. »Die, für die ich singe, stört es nicht.«
    »Unser Glück. Wen ißt du gerade?«
    »Vier Soldaten. Ich hab sie unten im Dorf gefunden.
    »Was nutzt es uns, wenn du mit einem Schwert umgehen kannst?« fragte das Gewissen belehrend. »Oder mit einer Muskete? Du wirst nur meine Flasche zerschießen.« »Man weiß nie, wozu es gut ist. Hätte ich lieber die dummen Bauern essen sollen?«
    »Du hättest lernen können, wie man Hühner züchtet.«
    »Ach!« rief die Alte verächtlich aus. »Bauern! Die sind zu nichts nutze als Kinder in die Welt zu setzen, viele und viele und viele. Und was wird aus den Kindern? Neue Bauern! Eine Schande ist das.«
    »Aber essen willst du die Kleinen auch nicht.«
    »Das ist wahr. Ich esse nur für Wissen.«
    Michal hörte sich all das an und wußte doch nicht, was er davon halten sollte. Essen für Wissen. Wenn er die Alte richtig verstanden hatte, so ging das Wissen desjenigen, den sie aß, auf sie über. Immerhin war damit geklärt, warum Hexen überhaupt Menschen aßen.
    Da drehte sich die Alte erstmals zu ihm um und blickte ihn direkt aus ihren kleinen, schwarzen Augen an.
    »Komm her«, befahl sie.
    »Ich habe keine Beine«, sagte das schlechte Gewissen.
    »Nicht du!« entgegnete das Weib barsch. »Ich rede mit unserem Gast.«
    »Wir haben einen Gast?« fragte das Gewissen.
    Die Alte gab keine Antwort und sagte statt dessen zu Michal: »Du bist bestimmt hungrig.«
    Michal brachte keinen Ton hervor. Er machte fast willenlos einen Schritt nach dem anderen, langsam wie ein Schlafwandler, und ließ zu, daß ihre Klaue seine Hand ergriff.
    »Setz dich«, sagte die Alte und wies auf den Boden neben den vier Fleischhaufen. Michal bemerkte, daß sie seit seinem Eintreten sichtlich kleiner geworden waren.
    Nachdem er Platz genommen hatte, deutete die Alte mit der Spitze ihres Stockes auf das Fleisch. »Soldaten«, erklärte sie. »Wenn du ihren Leib ißt, wirst du sein wie sie. Du wirst laufen und kämpfen wie sie, du wirst mit Waffen umgehen können, die Taktik des Gegners voraussehen. Du wirst keine Mühe mehr haben, nach Prag zu gelangen.«
    »Was soll er denn in Prag?« fragte das schlechte Gewissen.
    »Sei still!« fuhr die Alte die Flasche an.
    »Ich will nicht«, widersprach Michal mit schwacher Stimme.
    »Natürlich willst du. Prag ist dein Ziel, ist es immer gewesen. Deine Frau und dein Kind wollten mit dir dorthin gehen. Gemeinsam wart ihr zu schwach, aber alleinkannst du es schaffen. Ich gebe dir die Kraft dazu. Du solltest mir dankbar sein.«
    »Dankbar«, flüsterte er.
    »Nun iß!« verlangte die Alte.
    Zögernd streckte Michal die Hand nach dem ersten Fleischhaufen aus.
    »Er war gut mit der Muskete«, erklärte das Weib. »Hat viele von dieser Bauernbrut erledigt, bevor die anderen mit ihren Schwertern über sie herfielen.«
    Michal nahm mit Daumen und Zeigefinger ein rotes Stück Heisch und ließ es unschlüssig vor seinem Gesicht baumeln.
    »Mach schon«, sagte die Alte ungeduldig. »Je schneller du ißt, desto schneller bist du in der Stadt. Es wird dir dort gefallen. Viel zu essen, nie mehr Hunger.«
    Abgesehen von den letzten Tagen hatte Michal niemals hungern müssen. Dem böhmischen Landadel war es stets gut ergangen, auch seiner Familie. Erst seit ihrer Flucht wußte er, wie es war, wenn die Leere einem den Magen zu zerfressen schien.
    Ganz langsam öffnete er die Lippen und legte sich das Stück auf die Zunge. Zögernd begann er zu kauen. Das Fleisch war roh und weich, es schmeckte erbärmlich.
    »Herrgott!« fuhr

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