Der Schattenesser
ihn die Alte an. »Geht denn das nicht schneller?« »Als dein Gewissen«, begann das Gewissen, »muß ich dir sagen, daß >Herrgott< kein Fluch ist, der deiner ...«
»Geh zum Teufel!« kreischte die Alte wütend.
»Schon besser.«
Michal kaute auf dem rohen Fleisch, ohne es zerkleinern zu können. Es war zäh wie Leder. Um die Alte jedoch nicht weiter zu erzürnen, schluckte er es schließlich am Stück hinunter.
»Endlich!« entfuhr es dem Weib. »Nun weiter. Nimm eine Handvoll.«
Michal grub die Rechte bis zum Knöchel in das Fleisch, ballte sie zur Faust und zog sie wieder hervor. Zwischen seinen Fingern quollen die feuchten Fetzen hervor.
»Los, los!« trieb ihn die Alte an.
Michal gehorchte und stopfte sich die Backen voll. Unter Mühen gelang es ihm, das Fleisch hinunterzuwürgen.
»Das genügt«, stellte das Weib fest und klopfte mit der Stockspitze vor den zweiten Haufen. »Jetzt den Nächsten. Zu seinen Lebzeiten hat er gut gefochten, besser als manch anderer in Gabors Heer. Seine Schwertkunst wird dir noch zugutekommen .«
Michal schluckte das letzte Stück des Schützen, schloß für einen kurzen Moment die Augen, dann füllte er seinen Mund mit dem Fleisch des Fechters. Geschmacklich gab es keinen Unterschied zum ersten. Aber der zweite Haufen roch schlechter.
»Soldaten haben selten Zeit sich zu waschen«, sagte die Alte entschuldigend. »Das muß man hinnehmen. Die haben genug damit zu tun, die Frauen anderer zu schänden und mit den Weibern im Troß herumzuhuren.«
Michal nickte kauend. »Nimm mehr«, verlangte die Alte. »Fechten ist wichtiger als Schießen.«Er tat, was sie ihm gebot, dann wandte er sich dem dritten Haufen zu.
»Der hier war Kanonier«, sagte das Weib. »Ich weiß nicht, ob es dir nützt, wenn du eine Kanone stopfenkannst, aber der Kerl konnte auch mit dem Messer umgehen. Da hat ihm keiner was vorgemacht. Seine Klinge stach zu wie der Blitz. Ein meisterhafter Mörder aus dem Hinterhalt. Dazu auch der beste Betrüger im Kartenspiel, der mir untergekommen ist. Leider wirst du kaum Zeit haben, diese Kunst zu würdigen.«
Das Gewissen seufzte. »Mir schwant Übles.«
»Hurra!« entgegnete die Alte lachend. »Vorbei die Zeiten, in denen du mich beim Spielen ausgenommen hast.«
»Das steht zu fürchten«, sagte das Gewissen kleinlaut. Michal nahm auch vom Kanonier mehrere Mundvoll.
Allmählich war sein Hunger gestillt, doch die Alte kannte kein Erbarmen. »Es ist nur zu deinem Besten«, sagte sie. »Gegessen wird, was auf den Tisch kommt.« Er schenkte ihr ein scheues Lächeln und nickte. »Natürlich«, erwiderte er mit vollem Mund. »Nun zum letzten. Er könnte sich als besonders wertvoll erweisen.« Michal wischte sich mit dem Ärmel über die Lippen.
»Er war kein Mann der Waffe«, erklärte die Alte weiter, »sondern einer des Geistes.« »Ein Pfaffe?« fragte das Gewissen. »Soll er denn predigen, wenn er in die Stadt kommt?«
»Kein Pfaffe, Dummkopf!« schalt das Weib die Flasche. »Dieser hier« - sie deutete mit dem Stock auf den vierten Fleischhaufen - »dieser war ein Medicus. Zumindest der Gehilfe eines Medicus.«
Michal starrte erst auf den roten Fleischberg, dann auf die Alte. »Ein Medicus aus Gabors Heer?« fragte er leise.
»Gewiß doch«, erwiderte das Weib, »und bestimmt kein schlechter. Er schmeckt auch besser als die übrigen. Ein schlauer Bursche. Zum Kämpfen taugte er allerdings nicht im geringsten. Aber du wirst deine Wunden selbst versorgen können, falls du dich auf deinem Weg verletzt.«
Michal zögerte noch immer. »Hatte der Mann einen verkümmerten Arm?« fragte er.
Die Alte war erstaunt. »Woher weißt du das?«
»Ich kannte ihn.«
»Oje, oje«, klagte das Gewissen.
»Na und?« fragte das Weib. »Du frißt doch auch das Schwein aus deinem Stall.«
»Er hat mir das Leben gerettet.«
»Oje, oje, oje«, jammerte es aus der Flasche.
Die Alte machte eine wegwerfende Geste. »Iß und stell dir vor, er sei dein größter Feind.«
»Er war als einziger gut zu mir.«
»Friß oder sei verdammt!«
Michal atmete tief durch und blickte in die bösen Augen des Weibes. Einen Herzschlag lang regte sich Trotz, ja Widerstand in ihm, dann bohrte sich der Blick der Alten in seinen Schädel und zersprengte allen Widerwillen. Michal blieb nur, zu gehorchen.
Tief tauchte er seine Hand in den Fleischberg. Packte zu. Aß.
Langsam zerkaute er Balans Reste zwischen den Zähnen. Das Wissen des Medicus floß in seinen Geist, ebenso wie zuvor die Kunst
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