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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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um.
    Da waren zwei alte, elegant gekleidete Damen, eine junge Frau mit ihrem schlafenden Baby, das sie in einem farbenfrohen Tuch vor dem Bauch trug, ein alter Herr mit Hut, drei Mädchen auf Inlineskates, zwei Bankertypen, die beide über Headset telefonierten, und natürlich die Verkäufer und Verkäuferinnen, die allesamt beschäftigt waren. Aus den Lautsprechern plätscherte weich gespülter Rock. Die Kassen fiepten.
    Alles war wie immer.
    Aber Merle hatte gelernt, auf ihre Gefühle zu hören. Sie verließ die Käsetheke, schnappte sich ein Stück Brie und ein paar Scheiben eingeschweißten Gouda aus der Kühltruhe und schob ihren Wagen langsam zur Kasse.
    Der Typ, den sie angerempelt hatte, packte gerade seine Einkäufe ein. Er schien sie nicht zu bemerken, hatte sie vermutlich längst vergessen. Seine Hände versteckten sich unter den überlangen Ärmeln des Sweatshirts, aber Merle hätte gewettet, dass sie schön waren, groß und schmal.
    Sie konnte dahinschmelzen, wenn ein Mann solche Hände hatte. Doch dazu war nicht der richtige Augenblick. Sie bezahlte, stopfte die Einkäufe in ihren Rucksack und schnallte ihn um.
    Auf dem Weg zu ihrem Fahrrad musste sie sich zwingen, nicht loszurennen. Eine Angst, die sie sich nicht erklären konnte, hielt sie mit spitzen Klauen gepackt.
    Überall sind Menschen, redete sie sich gut zu. Niemand wird dir hier etwas tun. Also stell dich gefälligst nicht so an.
    Als sie vor ihrem Fahrrad in die Knie ging, um es loszuketten, sah sie es.
    Jemand hatte ihr mit langen, gezielten Schnitten die Reifen aufgeschlitzt.
     
    Es hatte ihm Spaß gemacht. Ein Spiel mit dem Feuer.
    Nett, die Kleine. Nicht sein Typ mit dem kurzen, leuchtend rot gefärbten Haar. Aber er konnte sich vorstellen, dass andere auf sie flogen.
    Er wusste nicht, warum er ihre Reifen zerschnitten hatte. Es war einfach so über ihn gekommen. Bei all dem hektischen Hin und Her einen unbeobachteten Moment zu finden, war nicht leicht gewesen. Und dann noch einen Zusammenstoß mit dem Mädchen zu provozieren!
    Er musste das hin und wieder tun, an die Grenzen gehen. Herausfinden, dass er noch lebendig war. Und unbesiegbar.
    Die verrücktesten Dinge hatte er schon angestellt. Er war aus einem fahrenden Zug gesprungen. War in der Nacht an einem Riesenrad hochgeklettert. Hatte sich übers Wochenende in einem Kaufhaus einschließen lassen.
    Jetzt hatte es ihn wieder eingeholt, dieses Wahnsinnsgefühl. Das Leben - ein Spiel. Und er beherrschte die Regeln wie kein anderer. Alle hatten es begriffen. Alle hatten gelernt, ihn zu respektieren. Keiner machte mehr den Molli mit ihm.
    Er lehnte sich im Sessel zurück und schlug das Buch auf. Sämtliche Romane von Imke Thalheim würde er noch einmal lesen. Diesmal mit anderen Augen. Er würde nach autobiografischen Hinweisen suchen, nach Schlüsseln zu ihrem Wesen. Auf diese Weise würde es ihm gelingen, sie aufzustöbern, die einzige Frau auf der Welt, die es wagte, ihn an der Nase herumzuführen.
    Das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
     
    Das Lokal hatte sich allmählich gefüllt und Imke Thalheim schien sich zu entspannen. Ihre Wangen hatten Farbe bekommen und die Befangenheit war von ihr abgefallen. Sie hatte das Bedürfnis, sich ihren Kummer von der Seele zu reden, und Bert hörte ihr geduldig zu.
    Er wusste, wie Menschen zumute war, die untertauchen mussten, und sei es nur für kurze Zeit. Wie belastend es war, sich freiwillig zu isolieren und dabei unentwegt befürchten zu müssen, der Verfolger könnte das Schlupfloch finden und hinter der nächsten Ecke auf sein Opfer warten.
    Imke Thalheim hielt sich tapfer. Bert sah ihr an, dass sie sich quälte, doch das hatte vor allem mit dem Tod ihrer Putzfrau zu tun. Sie wurde von ihren Schuldgefühlen förmlich zu Boden gedrückt.
    »Und was tun Sie so den ganzen Tag?«, fragte er, als sie aufgehört hatte, sich selbst anzuklagen. »Kommen Sie mit den Recherchen für Ihr neues Buch voran?«
    »Ganz gut. Ich habe schon angefangen zu schreiben.«
    »Darf ich nach dem Thema fragen?«
    Sie hob den Kopf. Unter ihrem aufmerksamen, nachdenklichen Blick wurde er verlegen. Vielleicht hatte er mit seiner Neugier an ein Tabu gerührt. Vielleicht bewahrten Schriftsteller abergläubisch Schweigen über ein Thema, solange sie sich damit befassten. Er wollte gerade den Rückwärtsgang einschalten, als sie antwortete.
    »Ich schreibe über das, was ich zurzeit erlebe.« Sie trank einen Schluck Wein. Steckte sich ein Stück Brot in den Mund.

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