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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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gelandet war, wo ich ihn schon früher gesehen hatte. Der Wächter meiner Mutter.
    »Das macht er andauernd«, erklärte Tilo. »Aber seltsamerweise nur bei mir. Als wären Hitchcocks Vögel lebendig geworden.« Ein Schauder überlief mich und ich beschleunigte das Tempo.
    »Ich hoffe, er hat keine Tollwut oder so was. Deine Mutter hat mir erzählt, dass die Wildvögel ihre Nester vehement verteidigen. Kann ja sein, dass sie schon brüten.«
    Tilo passte sich meinen Schritten an. Ich war froh, dass meine Mutter ihn gefunden hatte. Dass sie wieder glücklich war und dieses Glück mit jedem Blick und jeder Geste ausstrahlte. Vielleicht war es im Nachhinein für sie sogar gut gewesen, dass mein Vater sie verlassen hatte.
    »Hast du wenigstens für einen Kaffee Zeit?«, fragte Tilo, als wir in der Küche standen. »Dann können wir ein bisschen quatschen.«
    Ich sah auf meine Armbanduhr und nickte.
    »Schön.« Tilo rieb sich die Hände und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Er nahm drei Tassen aus dem Schrank. Ich runzelte verwundert die Stirn.
    »Deine Mutter hat noch kurz vor ihrer Abreise einen jungen Mann für die Büroarbeit eingestellt. Er kommt einmal die Woche, und ich habe den Eindruck, er ist richtig gut.«
    Davon hatte sie mir gar nichts erzählt. Aber sie war ja auch ziemlich überstürzt aufgebrochen.
    »Kaffee!«, rief Tilo nach oben.
    Ich hörte Schritte und blickte lächelnd zur Treppe. Sah Schuhe, Beine, Arme, die einen Stapel Papier trugen. Dann sah ich sein Gesicht - und erstarrte.
    Mein Stuhl kippte um, als ich aufsprang und zur Tür lief.
    Tilo rief meinen Namen. Luke rannte hinter mir her. Der Bussard auf dem Scheunendach starrte mich mit schräg geneigtem Kopf an. Ich warf mich ins Auto, haute den Gang rein, setzte zurück und hätte Luke dabei fast gestreift.
     
    Auf dem Weg nach Hause machte Merle noch einen kurzen Zwischenstopp im Supermarkt. Am Morgen hatte sie festgestellt, dass in ihrem Kühlschrank trostlose Leere herrschte. So wie in ihrem Innern. Sie hatte einen endlos anstrengenden Tag hinter sich, mit einem Strom von Besuchern, von denen sich keiner für ein Tier hatte entscheiden können.
    Eigentlich wollte ich eine rotbraune Katze. Weil sie besser zur Couchgarnitur passte oder zum Teppichboden oder einer Vorgängerin ähnlich sehen sollte. Haben Sie auch Glückskatzen? Diese dreifarbig gescheckten, wissen Sie.
    Am schwersten hatten es Tigerkatzen. Sie waren zu gewöhnlich, streunten auf jedem Bauernhof umher und auf dem Gelände jeder stillgelegten Fabrik. Die Getigerten waren die Otto Normalverbraucher unter den Katzen. Dabei waren sie es, in denen noch am meisten von einer Raubkatze steckte.
    Kinder waren unkompliziert. Die verliebten sich sogar in dreibeinige, lahme und halb blinde Tiere. Das Alter einer Katze war ihnen schnuppe, und Schönheitsfehler schreckten sie nicht ab. Sie wurden jedoch sofort von Mama und Papa zurückgepfiffen.
    Merle zog ein Glas Rollmöpse aus dem Regal. So wie sie dieses Zeug in sich hineinstopfte, musste sie mindestens scheinschwanger sein. Aber sie bekam wohl eher ihre Tage. Da hatte sie kurz vorher immer üble Fressattacken, die sie selbst anwiderten. Da konnte sie Käse, Schokolade, Fisch und Lakritz durcheinander essen und ihr wurde nicht mal schlecht.
    Als sie sich zu ihrem Einkaufswagen umdrehte, stieß sie mit einem jungen Mann zusammen, der dicht hinter ihr stand, die Kapuze seines Sweatshirts tief in die Stirn gezogen und eine Lennonbrille mit fast schwarzen Gläsern auf der Nase.
    »Tschuldigung!«
    Sie ärgerte sich über Menschen, die ihr ungefragt auf die Pelle rückten, und am liebsten hätte sie ihn angefaucht, aber er wirkte so zerknirscht, dass sie grinsen musste. »Schon gut.«
    Er trat einen Schritt zurück, den Kopf tief gesenkt, eine scherzhafte Demutsgeste. Als Merle schmunzelnd an ihm vorbeiging, nahm sie seinen Geruch wahr, eine Mischung aus einem beinah verflogenen Aftershave oder Eau de Toilette und etwas anderem, das sie kannte, jedoch nicht einordnen konnte.
    Einen Moment lang versuchte sie herauszufinden, was es war. Dann gab sie es auf und rekapitulierte in Gedanken die Einkaufsliste, die sie in der Kaffeepause niedergekritzelt und  dann im Büro vergessen hatte. Sie stellte sich an der Käsetheke an und wartete darauf, dass sie an die Reihe käme.
    Plötzlich war sie sich sicher, dass jemand sie beobachtete. Sie fühlte es wie eine kleine, unangenehme Berührung auf der Haut. Verstohlen schaute sie sich

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