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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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die Fingerspitzen. Und wenn Jette recht hatte? Wenn ihr Gefühl sie nicht trog? Sie mussten reden. Unbedingt.
     
    Der Wein stieg Imke allmählich zu Kopf. Sie vertrug nicht viel. Eigentlich mochte sie Alkohol nicht einmal besonders gern. Sie fand es nur gemütlich, zu einem guten Essen ein Glas zu  trinken. Außerdem würde der Wein ihr beim Einschlafen helfen. Sie hasste es, nachts wach zu liegen und den Gedanken ausgeliefert zu sein, die in der Stille der Dunkelheit auf sie lauerten.
    Der Kommissar war noch einmal mit ihr die Liste der Menschen durchgegangen, die ihren engeren und weiteren Umkreis bildeten. Die meisten davon waren inzwischen von der Polizei befragt worden, bei keinem von ihnen hatten sich Verdachtsmomente ergeben.
    Er selbst hatte sich höchstpersönlich Imkes Agentin vorgenommen und dann dem Piepenbrink Verlag mehrere Besuche abgestattet. Er hatte mit den Leuten vom Vertrieb gesprochen, mit der Herstellung, der Presseabteilung und dem Lektorat. Die Befragung der Verlagsleiterin hatte einen ganzen Vormittag in Anspruch genommen.
    »Mir ist schleierhaft, was Sie sich von diesen Gesprächen erhoffen«, sagte Imke und nahm noch einen Schluck Wein. »Die werden doch ihre eigene Autorin nicht boykottieren, indem sie sie in Todesangst versetzen. Das wäre nicht nur pervers, es wäre auch äußerst unklug.«
    »Vielleicht wollen sie die Autorin auf diese Weise ins Gespräch bringen.«
    Imke lächelte und hatte das Gefühl, sich in diesem Lächeln vollständig aufzulösen. Sie schob den Wein beiseite und goss sich Mineralwasser ein. »Das ist bei mir nicht mehr nötig, Herr Kommissar.«
    Er sah sie an, und sie stellte fest, dass er für einen Mann bemerkenswert dichte Wimpern hatte. Unter dem weichen Licht der Lampe warfen sie einzigartige Schatten auf seine Wangen.
    »In unserer Gesellschaft ist Geld zum Maßstab geworden«, gab er zurück. »Selbst millionenschwere Spitzensportler und Schauspieler und geradezu unanständig überbezahlte Fernsehmoderatoren machen Werbung, um noch mehr Kohle zu scheffeln. Sie kriegen den Hals einfach nicht voll. Wieso sollte Ihr Verlag da eine Ausnahme machen?«
    Sie nickte und beugte sich wieder über ihre Dorade. Der Kellner war so freundlich gewesen, sie ohne Kopf zu servieren. Imke hatte ihn darum gebeten. Sie hätte den Anblick der toten Augen heute Abend nicht ertragen.
    »Natürlich haben Sie im Prinzip recht«, sagte sie. »Aber es wäre entsetzlich für mich, wenn dieser Mann in irgendeiner Weise mit meinem Beruf zu tun hätte.« Während sie das aussprach, wurde ihr bewusst, dass es für sie wesentlich schlimmer wäre, von jemandem terrorisiert zu werden, der ihr wirklich nahestand.
    Der Kommissar verspeiste mechanisch Fleischbröckchen, Paprikaragout und Reis, während sein Kopf auf Hochtouren lief. Er kam Imke vor wie ein nervös tänzelndes Pferd, die Füße kaum auf dem Boden, die Muskeln angespannt, zum Bersten gefüllt mit Energie.
    »Ich weiß, dass ich mich wiederhole«, sagte er schließlich, »aber wir müssen es drehen und wenden, bis es einen Sinn ergibt - jemand wie Sie muss Neider haben. Es kann gar nicht anders sein.«
    »Neid und Missgunst gehören ebenso zum Leben wie das Gegenteil. Mit solchen Empfindungen lernt man doch umzugehen, sonst würde die Hälfte der Menschheit Amok laufen.«
    »Davon bin ich überzeugt.«
    »Sie glauben nicht, dass der Mensch von Natur aus gut ist?«
    »In meinem Beruf verlieren Sie diesen Glauben ziemlich schnell.«
    »In meinem klammert man sich eine ganze Weile daran. Ihn zu verlieren, ist eine Katastrophe, jedenfalls war es das für mich.« Imke schaute von ihrem Teller auf. Ihr Blick fiel  direkt in seine Augen. Ihr war ein bisschen schwindlig. Sie schwor sich, an diesem Abend keinen Tropfen Alkohol mehr anzurühren.
    »Sie haben ihn immer noch«, sagte der Kommissar. »Ich finde ihn in all Ihren Büchern und ich bewundere Sie dafür.«
    Imke hatte nicht gewusst, dass er ihre Bücher kannte. Sie wurde rot und ärgerte sich darüber. Sein Lob freute sie über die Maßen. Länger als notwendig beschäftigte sie sich damit, sich zwei hauchfeine Fischgräten von den Lippen zu zupfen.
    »Ich fürchte, das kommt Ihnen nur so vor«, sagte sie. »Ich habe mir wirklich schon oft gewünscht, allein auf einer Insel zu leben.«
    Die Lachfältchen um seine Augen vertieften sich. »Allein mit einem Laptop, einem Boot und einer gut sortierten Bibliothek.«
    Es kam ihr merkwürdig vor, ihn aus einem ihrer Bücher zitieren zu

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