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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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ständig nachgefüllt werden musste.
    Nach einer Stunde hatten wir drei Angebote rot umkringelt, einen Clio, einen Fiesta und einen Polo. Nach einer weiteren halben Stunde hatte ich mit den Besitzern telefoniert und erfahren, dass sie schon mit mehreren Interessenten Besichtigungstermine vereinbart hatten.
    »Shit!« Ich warf das Telefon auf den Tisch. »Die scheinen  sich die Zeitung alle schon am Vorabend zu besorgen. Das ist gegen die Regel.«
    »Gegen welche Regel?« Merle zog die Füße auf den Stuhl und umschlang die Knie mit den Armen. »Wir leben im Megakapitalismus, und da gilt nur eines: jeder gegen jeden und jeder für sich allein. War bei der Haussuche doch nicht anders.«
    Daran brauchte sie mich nicht zu erinnern. Fast immer waren wir zu spät gekommen, selbst wenn wir uns schon um sechs Uhr früh die Zeitung geholt hatten. Inzwischen wusste ich, warum. Die besten Angebote, hatte Luke mir später verraten, gehen unter der Hand weg, bevor sie überhaupt im Netz oder in der Zeitung auftauchen. Und so mancher Angestellter in den Anzeigenredaktionen lässt sich für ein Scheinchen gern einen heißen Tipp entlocken.
    »Und wenn wir uns mal bei den Händlern umsehen?«, fragte ich.
    »Ist vielleicht auch sicherer«, antwortete Merle. »Da kriegst du, glaube ich, sogar eine Garantie.«
    Tilo, der mehr von Autos verstand als wir, hatte schon häufiger angeboten, mir bei der Suche nach einem gepflegten, intakten Gebrauchtwagen zu helfen. Darauf kam ich jetzt zurück und rief ihn an. Er sagte sofort zu, wollte aber nicht, dass wir ihn abholten. Er bestand darauf, nach Birkenweiler zu kommen.
    Eine halbe Stunde später stiegen wir in meinen Renault. Tilo hatte Mühe, seine langen Beine unterzubringen, doch er beklagte sich nicht. Er lotste uns zu einem Händler, mit dem er schon Geschäfte gemacht hatte, doch ich konnte mich in keinen der ausgestellten Wagen verlieben.
    »Verlieben?«, fragte Tilo amüsiert. »Ein Fahrzeug ist ein Gebrauchsgegenstand.«
    »Mit einem Gebrauchsgegenstand wollen wir nichts zu tun  haben«, entschied Merle. »Jettes Wagen muss schon Persönlichkeit besitzen.«
    »Und er sollte bezahlbar sein«, erinnerte ich Tilo. »Kennst du nicht einen kleineren Laden?«
    Er überlegte. Nachdem er seine Beine wieder zusammengeklappt und halbwegs bequem verstaut hatte, hellte sich sein Gesicht auf. »Ich habe neulich durch Zufall eine Autowerkstatt mitten in der Prärie gefunden. Da gab es auch einen kleinen Hof mit gebrauchten Fahrzeugen.«
    Etwas sagte mir, dass mein neues Auto dort auf uns wartete. »Okay.« Ich drehte den Zündschlüssel im Schloss und der Motor sprang sofort an. Das hatte er seit einer Ewigkeit nicht mehr getan. Ich war zu Tränen gerührt, aber ich wurde nicht schwach. »Sag einfach, wo es langgeht.«
     
    Tilo fragte sich verzweifelt, wie er es den Mädchen beibringen sollte. Was war der geeignete Moment für einen Schock? Und wie sollte er die richtigen Worte finden?
    Als er am Morgen in die Küche gekommen war, um sich Frühstück zu machen, hatte er es entdeckt. Es hatte ihn mit voller Wucht getroffen.
    Der Bussard hing leblos vor dem Küchenfenster.
    Tilo war sofort hinausgelaufen, die Haare noch feucht vom Duschen. Bitte nicht, hatte er gedacht. Oh nein, bitte nicht.
    Die Brust des Vogels war eine einzige klaffende Wunde. Blut war auf die Steinfliesen getropft und hatte sich dort in einer Lache gesammelt, deren Form Tilo unpassenderweise an die Umrisse Skandinaviens erinnert hatte.
    Seltsam, hatte er im nächsten Moment gedacht, dass man den Tod auf den ersten Blick erkennt, wenn man ihn vor sich hat. Auch ohne die schreckliche Wunde und ohne das Blut.
    Der Bussard hing an den Füßen, mit dem Kopf nach unten,  und Tilo sah sich unvermittelt einem Schreckgespenst seiner Kindheit gegenüber.
    Einer seiner Onkel war Jäger gewesen und hatte die Familie regelmäßig mit Hasen versorgt. Tilos Mutter band ihnen die Hinterläufe zusammen und hängte die toten Tiere kopfüber in der kalten Waschküche an einen Haken in der Wand. Dort blieben sie, bis seine Mutter die Zeit fand, sie zu enthäuten.
    Bis dahin behielten sie ihr schönes, weiches Fell, und der kleine Tilo schlich immer wieder in die Waschküche, um es mit scheuen Fingern zu berühren. Er vermied es, in ihre toten Augen zu blicken. Es schauderte ihn, wenn er die starren Muskeln fühlte.
    Leise hatte er zu den Hasen gesprochen und sie zu trösten versucht. Manchmal hatte er dabei weinen müssen.
    Seine Mutter

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