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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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enthäutete die Hasen eigenhändig. Sie nannte es scherzhaft den Hasen das Fell über die Ohren ziehen. Tilo, der ein einziges Mal einen enthäuteten Hasen gesehen und den Anblick nie verkraftet hatte, hasste seine Mutter dafür und konnte es eine ganze Weile nicht ertragen, von ihr berührt zu werden.
    Und nun der Bussard.
    Erst nach einer Weile hatte Tilo den großen Haken bemerkt, an dem der Vogel aufgehängt worden war. Jemand hatte ihn mit ein paar gewaltigen Hieben ins Mauerwerk über dem Fensterrahmen getrieben.
    Wieso hatte Tilo nichts gehört?
    Weil er eine ganze Flasche Rotwein getrunken und danach tief und traumlos geschlafen hatte. Er hatte lange mit Imke telefoniert, dabei die erste Hälfte der Flasche geleert und später dann die zweite.
    Mein Wächter. So hatte Imke den Bussard immer genannt.
    Vorsichtig hatte Tilo das Seil vom Haken gelöst und das  Tier zu den Büschen hinübergetragen. Es war ihm riesig vorgekommen und unglaublich schwer. Tilo hatte es behutsam abgelegt und war in die Scheune gegangen, um eine Schaufel zu holen. Er hatte beschlossen, den Vogel anständig zu begraben, in der Nähe der Scheune, auf deren Dach er meistens gesessen hatte.
    Das Loch war schon spatentief ausgehoben, als Tilo klar wurde, dass er im Begriff war, Beweismaterial zu vernichten. Er trug den Bussard in die Scheune, bettete den steifen Körper auf einen Stapel Papier, der dort auf seine Entsorgung wartete, und deckte ihn mit einem alten Wolltuch zu. Dann wählte er die Handynummer des Kommissars und hinterließ ihm eine kurze Nachricht mit der Bitte, ihn zurückzurufen.
    Früh am Morgen war das gewesen, und Tilo hatte keinen Bissen heruntergebracht, nur eine Tasse Kaffee, von der es ihm fast hochgekommen war.
    »Übrigens«, begann er jetzt und dachte im nächsten Moment, dass dieses Wort ein denkbar schlechter Anfang war.
    »Ja?« Jette wandte ihm das Gesicht zu. Merle beugte sich erwartungsvoll nach vorn. Es war der falsche Augenblick. Sie freuten sich auf das neue Auto und waren aufgeregt. Er brachte es nicht fertig, ihnen die Stimmung kaputt zu machen.
    Vielleicht war es ohnehin ratsam, zuerst einmal gegen das eigene Unbehagen anzugehen, das ihn mit festem Griff gepackt hielt.
     
    Bert saß in seinem Büro und starrte auf die Pinnwand, die sich allmählich mit Fotos und Notizen füllte. Die Kinder verbrachten das Wochenende bei den Großeltern, und Margot war mit einer Freundin losgezogen, um einen Einkaufsbummel zu machen. Bert war es recht. Er war heute gern allein und ungestört. Vor allem brauchte er eine Beschäftigung, die ihn von den Gedanken an Imke Thalheim ablenkte.
    Manchmal, dachte er, entscheidet eine Kleinigkeit über den Verlauf eines ganzen Lebens. Hätte Margot ihn damals nicht angelächelt, wäre er nicht auf sie zugegangen, und sie wären kein Paar geworden. Hätte Imke Thalheims Handy nicht geklingelt oder wäre der Anrufer nicht ausgerechnet Tilo Baumgart gewesen …
    Bert war allein in dem großen, wochenendstillen Gebäude. Allein auf der Welt, dachte er. Im Grunde sind wir das doch alle, nur dass wir unsere Einsamkeit feige mit Illusionen bemänteln.
    Sein Blick fiel auf das Foto, das er von Tilo Baumgarts Hauswand gemacht hatte. Ein Grafologe, den er von früheren Fällen her kannte, hatte es sich angeschaut und sich dazu geäußert. Unter Vorbehalt selbstverständlich, denn ein mit der Hand geschriebener Satz, hatte er erklärt, sei etwas grundlegend anderes als ein mit der Spraydose gesprühter, wie der ihm vorliegende. Außerdem beurteile er eine Schriftprobe ungern, ohne das Original untersucht zu haben.
    Ein besonderer Schwierigkeitsfaktor, das wusste Bert, war die Tatsache, dass die Worte nicht auf Papier geschrieben worden waren, sondern auf eine Wand aus Stein. Wesentliche Merkmale, wie beispielsweise die Stärke des Drucks, den die Finger beim Schreiben ausüben, konnten so nicht erfasst werden.
    »Ich erkenne Wut«, hatte der Grafologe gesagt, »Wut und das Bemühen, sie unter Kontrolle zu halten. Beachten Sie, wie die Buchstaben dastehen, jeder für sich allein, kaum einmal verbunden mit einem anderen. Der untere Bogen vom g ist als bloßer Strich ausgeführt. Sehen Sie, wie atemlos er nach unten führt und dann jäh endet? Betrachten Sie dagegen das überdimensionale, weit ausholende, äußerst weiblich gestaltete S.  Und dann das geradezu egoman hervorgehobene Possessivpronomen: MIR. Sie fragen mich nach meiner Einschätzung? Verstehen Sie diese Botschaft unbedingt als

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