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Der Schattengaenger

Der Schattengaenger

Titel: Der Schattengaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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ich zeige dir die kalte Schulter. Komm doch, wenn du dich traust.
    »Du kannst mich mal«, murmelte Manuel. »Ich werde dir zeigen, wer hier am Drücker ist.«
    Etwas, das lange in ihm geschlummert haben musste, hatte sich gelöst und Gestalt angenommen. Eine Stärke, von der er nie geglaubt hätte, sie zu besitzen, und das Bewusstsein einer Art Unverwundbarkeit wie bei Siegfried, dem Drachentöter.
    Siegfried aber war schließlich doch noch ermordet worden. Eine Stelle an seiner Schulter war verletzlich geblieben.
    Eine winzige Stelle, dachte Manuel. Das darf mir nicht passieren.
    Ihm war jetzt klar, dass er sich verändert hatte. Dass sein ganzes Leben eine einzige, allmähliche Verwandlung gewesen war. Nichts erinnerte mehr an den kleinen Jungen, der Nacht für Nacht ins Bett gemacht hatte und Morgen für Morgen Laken und Schlafanzug in kaltem Wasser auswaschen musste.
    Nehmt euch in Acht, dachte er. Alle.
    Er hörte den Warnruf eines Vogels und grinste in sich hinein. Da hätten sie sich besser einen Hund angeschafft.
     
    Es war spät geworden, doch Imke konnte sich nicht losreißen. Längst ging es nicht mehr um den Schattengänger, den Mord an Frau Bergerhausen, die allgegenwärtige Bedrohung.
    Es ging um die uralte Geschichte von Mann und Frau.
    Irgendwo in Imkes Hinterkopf regte sich der Impuls, dieses Treffen zu beenden, wie es sich gehörte, rechtzeitig und sauber und so, dass sie sich am nächsten Morgen im Spiegel noch in die Augen schauen könnte. Doch sie brachte die Kraft dazu nicht auf.
    Alles in ihr war im Lot. Für einen kostbaren Augenblick hatten sich Angst und Schuldgefühle zurückgezogen. Sie fühlte sich lebendig wie lange nicht mehr.
    Dann war auch der letzte Gast aufgebrochen. Der Kellner an der Theke hatte schon mehrmals demonstrativ gegähnt.
    »Wir sollten langsam …«, sagte Imke. »Sie müssen ja noch den ganzen weiten Weg …«
    Der Kommissar bestand darauf, sie einzuladen. Er gab ein irrsinnig hohes Trinkgeld. Verstaute das Portemonnaie in der Gesäßtasche.
    Gesäßtasche, dachte Imke. Sie fing an zu kichern, heftig und unkontrolliert, beinah hysterisch. Ebenso gut hätte sie in Tränen ausbrechen können. Wie nah die Gefühle bei ihr neuerdings beieinanderlagen.
    Die Luft draußen war kühl und erfrischend. Unter dem klaren Sternenhimmel gingen sie schweigend durch den menschenleeren Ort. Imkes Absätze klackerten auf den Pflastersteinen. Sie bemühte sich, ihre Schritte den seinen anzupassen.
    Als sie stolperte, fasste er sie am Ellbogen. Und ließ sie nicht mehr los.
    Sein Wagen, dachte Imke. Er hat ihn auf dem Parkplatz vergessen.
    »Meinen Wagen hole ich später«, sagte er, mühelos ihre Gedanken lesend.
    Seine Nähe nahm ihr die Luft. Imke zitterte, obwohl ihr nicht kalt war. Er spürte es und legte ihr behutsam den Arm um die Schultern. Sie atmete seinen Geruch ein und ließ für einen winzigen Moment den Kopf an seine Schulter sinken.
    Die Pension kam in Sicht, ein zu wuchtig geratenes Puppenhaus mit Blumenkästen auf den Fensterbänken und gebauschten Gardinen an den Scheiben. Im ersten Stock befand sich Imkes Zimmer.
    Ich kann mich immer noch an der Haustür von ihm verabschieden. Noch ist nichts geschehen, dessen wir uns …
    Sie blieben stehen. Er fasste sie bei den Schultern und drehte sie zu sich um. Sah sie an.
    Imke schloss die Augen.
    Als ihr Handy klingelte, zuckten sie beide zusammen. Imke warf einen Blick auf das Display und wandte sich ab. »Hallo«, meldete sie sich leise.
    »Ich vermisse dich auch«, hörte sie Tilos zärtliche Stimme.
     

Kapitel 21
    Ich hatte außer einer Tüte knuspriger, duftender, noch warmer Brötchen auch die Samstagszeitung mitgebracht. Merle und ich hatten uns vorgenommen, endlich nach einem neuen Wagen zu suchen. Mein Renault würde heute oder morgen an Altersschwäche eingehen, und ich wollte vermeiden, dass mir das auf der Autobahn oder auf einer einsamen Landstraße passierte.
    »Er soll noch auf seinen eigenen vier Rädern zum Schrottplatz fahren«, sagte ich zu Merle. »Das bin ich ihm schuldig.«
    Merle biss krachend in das erste Brötchen. »Alles andere wäre würdelos«, bestätigte sie. »Er hat uns nie im Stich gelassen. Ein paar Macken muss man einem alten Haudegen wie ihm schon verzeihen.«
    Meine Stimmung schwankte zwischen Trauer und Euphorie. Ich verlor meinen treuen Sancho Pansa, aber ich freute mich auch auf einen etwas jüngeren Nachfolger, bei dem die Türen nicht klemmten, das Dach dicht war und das Öl nicht

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