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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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achtzehnten Lebensjahr verlief mein Leben in Harmonie. Ich machte Musik, ich studierte die Thora. So wuchs ich heran, bis ich mich in die jüngste Tochter unseres Rabbi verliebte. Und ich meine echte Liebe, wie sie von den Dichtern besungen wird. Eine Liebe, wie sie die heutige Jugend nicht mehr kennt.«
    »Mir kommen gleich die Tränen«, flüsterte Sascha.
    »Psst«, zischte Lily. »Ich finde das romantisch.«
    Sascha grunzte nur verächtlich, tat es aber so leise, dass keiner der Erwachsenen es hörte.
    »Das Leben war wunderbar«, fuhr Gellman fort, »bis Naftali Asher in unsere Stadt kam. Von da an ging alles schief. Ich litt an Furunkeln, bekam Ausschlag, das Rohrblatt meiner Klarinette brach. Das Pech verfolgte mich. Aber das Schlimmste war doch, was mit der armen Rivka passierte –«
    »Sie verliebte sich in Asher«, äußerte Wolf.
    »Von wegen!«, rief Gellman entrüstet. »Asher war ein Nichts damals, als Mann und als Klezmermusiker. Nie hätte Rivka mich für so einen
Nudnik
, solch einen Niemand, verlassen, niemals. Nein, er hat Rivka mit einem Hasszauber belegt.«
    »Davon habe ich noch nie gehört«, staunte Lily.
    »Und ich hoffe, dass ein hübsches Fräulein wie Sie so etwas nie erlebt«, meinte Gellman. »Es ist schon schlimm genug, ein unschuldiges Mädchen mit einem Liebeszauber zu belegen, dass der beste Bewerber gewinnen möge. Aber ein Hasszauber, oh, ich wünsche niemandem, solch ein Unglück am eigenen Leib zu erfahren. Man kann nichts dagegen tun. Asher mochte ja als Musiker eine Niete sein, aber als Zauberer war er ein Genie. Als Nächstes erfuhr ich, dass Rivka mit ihm unter der
Chuppa
stand –«
    Mitten im Satz wurde er von einem so lauten Schnauben unterbrochen, das Sascha zuerst an ein Wiehern erinnerte. Doch es hatte niemand einen Gaul mit ins Zimmer geschmuggelt, sondern Dopey Benny hatte sich geschnäuzt und große glänzende Tränen dazu geweint. »Es bricht einem das Herz«, seufzte er in dem verschnupften Tonfall, den jedes Kind auf der Lower East Side, kaum konnte es über den Ladentisch des Süßwarengeschäfts schauen, nachzumachen wusste.
    »Dschuldigung, i’ muss no’ ma’, maineh Naase läuft sons’ weg.« Ein Trompetenschall folgte, bei dem selbst Minsky zusammenzuckte, dann aber einen Blick in die Runde warf, als wollte er sagen:
Wenn sich jemand über meinen Leibwächter lustig machen will, soll er das nur offen tun
.
    »Und was ist dann geschehen?«, fragte Lily Gellman.
    »Nichts«, sagte Kid Klezmer traurig. »Sie hat ihn geheiratet. Dann sind sie gemeinsam nach Amerika ausgewandert.«
    »Und Sie folgten ihnen«, sagte Wolf.
    »Nein, gefolgt bin ich ihnen nicht. In der Zwischenzeit wurden in Russland Pogrome nämlich zu einem beliebten Zeitvertreib. Und glauben Sie mir, Kosakenüberfälle sind für einen Hochzeitsmusiker keine idealen Geschäftsbedingungen.«
    »Dann sind Sie also der Arbeit wegen nach Amerika gekommen«, folgerte Wolf. »Und wie ist es Asher und Rivka ergangen?«
    »Oh, Asher hatte das schwärzeste Pech, das ein verschmähter Liebhaber seinem Rivalen wünschen könnte. Wie hätte ich mich darüber gefreut, wenn er nur nicht die arme Rivka in sein Unglück mit hineingezogen hätte. Also, Asher kommt in Ellis Island an. Und was passiert dort? Nun, man beschlagnahmt seine Klarinette. Ist das nicht unglaublich? Na, das war jedenfalls das Ende seiner Klezmerträume. Dann hat er bei Pentacle ausgeholfen. Nicht dass ich ihm deswegen Vorwürfe mache, er war beileibe nicht der Erste, der sich der Magie verschrieben hat, als ihm klar wurde, dass sich ein Armer in New York nicht mit ehrlicher Arbeit über Wasser halten kann. Er arbeitet also zwei Jahre lang für Pentacle und spart jeden Penny für eine neue Klarinette. Schließlich kauft er sie sich und stellt fest, dass es hier haufenweise Klarinettisten gibt und Asher nun einmal nicht zu den Besten gehört. Bis eines Tages, ja, bis etwas Geheimnisvolles geschieht.« Gellman kicherte nervös. »Er erzählte gern eine rührselige Geschichte von einem alten
chassidischen
Weisen, den er bis zu dessen Tod in einem Rattenloch in einer Mietskaserne gepflegt haben will. Er behauptete, der Chassid habe ihm alle seine
Nigun
gelehrt, ehe er den Geist aufgab – Sie wissen doch, die heiligen Gesänge der Chassidim. Ich habe das immer für Unsinn gehalten.« Gellman lachte wieder. »Asher war nicht gerade der Typ Mann, der einen Fremden ganz selbstlos bis zu dessen Tod pflegte.«
    »Vielleicht hat ihn ja Rivka

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