Der Schattenjäger (German Edition)
Sie vielleicht Jude?«, fragte sie Wolf mit sanfter, fremdländischer Stimme.
»Nein.«
»Wären Sie dann so freundlich, für mich das elektrische Licht anzuschalten?« Wolf machte ein verblüfftes Gesicht, fand aber den Schalter und knipste das Licht an.
Wolf und Lily setzten sich an den Tisch, während Sascha in die Küche ging und in den Wandschränken stöberte, bis er Brot, Käse und eine halb leere Flasche Wein gefunden hatte. Er nahm die Vorräte für Mrs Asher mit – aber dann fiel ihm noch ein, nachzuschauen, was auf dem Küchenherd stand. Dort warteten, obwohl das Feuer ausgegangen war, ein voller Wasserkessel und ein großer Topf mit halb durchgegartem
Tscholent.
Sascha fachte das Feuer erneut an und schürte es zu einer ordentlichen Flamme, ehe er ins Wohnzimmer zurückkehrte.
Rivka erzählte gerade Wolf ihre Version der traurigen Geschichte, die sie schon von Kid Klezmer kannten. Sascha gab ihr Brot und Käse. So hastig, wie sie alles hinunterschlang, schien sie seit dem Frühstück nichts zu sich genommen zu haben. Sascha schenkte ihr Wein ein, als sie so weit war.
»Gut Schabbes«.
Sie sah ihn scharf an. »Bist du –? Das hättest du nicht –, nicht für mich –«
»Ich arbeite eh schon«, sagte er zu ihrer Beruhigung. »Sie müssen etwas essen, sonst werden Sie krank.«
Sie starrte ihn eine Weile an, doch offenbar drehte sich zu viel in ihrem Kopf herum und sie konnte keinen einzelnen Gedanken fassen. Nach einer Weile schaute sie weg und fuhr mit ihrer Erzählung fort.
Rivka Asher war gewiss nicht die Sorte Frau, um die prominente Musiker als Liebhaber rivalisierten. Sie musste einmal sehr hübsch gewesen sein, doch davon war kaum noch etwas zu entdecken, so schmal und ausgezehrt sah sie aus. Und sie wirkte bei allem so schüchtern und unscheinbar, dass sich Sascha schwer vorstellen konnte, dass mehr als ein Mann eine rasende Leidenschaft für sie entwickelt hatte.
Indes war die Geschichte, die sie dann erzählte, voller Hingabe und Magie. Beim Zuhören kam es Sascha vor, als ob die schäbige Großstadt sich allmählich in eine andere Welt verwandelte, in der Dibbuks durch krumme Schtetlgassen schlichen, die Luft von Magie erfüllt war und Gott und der Teufel um die Seelen der Menschen würfelten.
Während ihrer Erzählung konnte Sascha Rivkas Geschichte verstehen, wie er es vor einem Jahr nicht vermocht hätte. Damals hätte er Rivka Asher für verrückt oder abergläubisch gehalten. Nun aber wusste er aus eigener Erfahrung, wie gewissenlose Menschen die Magie für ihre Zwecke missbrauchten. Der Verdacht, dass sie Opfer eines schwer durchschaubaren, verheerenden Verbrechens geworden war, schien naheliegend. Ihr Leben war aus der Bahn geworfen worden. Ihr Herz und ihr Verstand hatten so viel leiden müssen, sodass nur wenig Hoffnung bestand, sie wieder ins Lot zu bringen. Das Schlimmste aber war, dass der Verbrecher, der ihr dies alles angetan hatte, niemand anderes als ihr Ehemann war.
»Glauben Sie wirklich, dass er ermordet worden ist?«, fragte sie in aller Arglosigkeit.
»Das weiß ich noch nicht. Ich würde darüber aber gern mit Sam Schlosky reden. Wissen Sie, wo er wohnt?«
»Leider nein. Ich weiß auch nicht, ob Naftali ihn jemals zu Hause besucht hat. Dazu könnten Sie allerdings Sams Bruder befragen.«
»Moische«, sagte Wolf mit ausdrucksloser Stimme.
»Ja, Moische ist leicht zu finden.«
»Zu leicht«, seufzte Wolf. »Wenn ich zum Sitz der IMW gehe, wissen das morgen früh alle New Yorker Zeitungen, und spätestens zu Mittag ist Sam der Verdächtige Nummer eins.«
»Tja, dann weiß ich nicht, wie ich Ihnen sonst noch behilflich sein könnte«, sagte Mrs Asher. »Doch. An eines erinnere ich mich noch: Sams Tante züchtet Gänse.«
Offenbar schien Wolf darin keinen hilfreichen Hinweis zu sehen. Viele arme Leute in New York hielten sich Geflügel, praktisch auf jedem Hausdach der Lower East Side standen so viele Verschläge wie in einem ganzen Dorf.
»Sie hat Hunderte von Gänsen, ein großer Betrieb. Sie verkauft die Federn und vieles mehr in der ganzen Stadt. Jeder kennt sie«, erklärte Mrs Asher.
»Moment«, unterbrach Sascha, »sprechen Sie von Mrs Mogulesko?«
»Ja, so heißt sie!«
»Die Gänsefrau? Moische Schlosky ist der Neffe der Gänsefrau?« Sascha konnte es nicht fassen.
»Ja«, bestätigte Mrs Asher. »Sam arbeitete tagsüber für sie und abends als Garderobier für Asher. Hin und wieder versäumte er auch die Arbeit, weil er seiner Tante helfen
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