Der Schattenjäger (German Edition)
neben ihr schien eine jüngere und schmalere Version des Klezmerkönigs zu sein. Die Bildunterschrift meldete: Die Zauberin aus dem Schtetl bezirzte zwei Klezmerstars.
Waren die Fotografien schon schlimm, war der Artikel richtig starker Tobak. Im Kern war es die gleiche Geschichte, die Kid Klezmer ihnen schon erzählt hatte, aber irgendwie klang sie jetzt ganz anders. Kid Klezmer war kein verliebter junger Mann mehr, der die Fassung verlor und nicht darüber hinwegkam, sondern ein Lustmolch, der sich mit Zigeunern und Teufelsanbetern herumtrieb und die vergangenen zehn Jahre Pläne zur Vernichtung seines Rivalen gemacht hatte. Der Klezmerkönig wiederum galt nicht mehr als großer Musiker mit einem schweren Schicksal, sondern er wurde als geld- und ruhmsüchtiger Mann dargestellt, der damit geprahlt hatte, für einen guten Song seine Seele zu verkaufen. Und der ganze Artikel vermittelte den Eindruck, dass alle Beteiligten nur deshalb so verrückt gehandelt hatten, weil sie Juden waren. Als ob Juden in Russland in einer schrägen Welt lebten, wo alle bei der ersten sich bietenden Gelegenheit Abmachungen mit dem Teufel trafen und mit Todesflüchen um sich warfen wie die New Yorker mit Konfetti. Diese Leute schmuggelten ihre schwarze jüdische Magie durch Ellis Island und warteten nur darauf, dass die Inquisitoren einmal nicht aufpassten, um gemütlich zu magischen, kriminellen Beutezügen aufzubrechen.
Das Komische daran war, dass Sascha hätte schwören können, die Geschichte schon einmal gehört zu haben. Tatsächlich war es die gleiche Geschichte, die in der Sensationspresse zu lesen war, wenn jemand in Little Italy erstochen aufgefunden wurde. Dann wurde jeder Schlag auf den Kopf zu einer »Verzweiflungstat aus leidenschaftlicher Liebe«, zu einer »schwarzäugigen Madonna«, die »mit heißem sizilianischen Liebeszauber jeden Mann um den Verstand brachte«.
Sascha hatte solche Geschichten immer gelesen, ohne sich viel dabei zu denken, doch jetzt erschienen sie ihm in einem ganz anderen Licht. Er fragte sich, was wohl normale, gesetzestreue Italiener empfanden, wenn sie morgens die Zeitung aufschlugen und schon wieder von einer düsteren Vendetta lesen mussten.
»Warum schreiben sie nur so schreckliche Geschichten?«, fragte Sascha.
»Weil sich ihre Zeitungen gut verkaufen sollen«, antwortete Wolf resigniert. »Mich würde interessieren, wie sie von dieser so rasch erfahren haben.«
»Hm!«, machte Lily verächtlich. »Und ich möchte wissen, wem zurzeit die
New York Sun
gehört.«
»Morgaunt«, gab Wolf zur Antwort. »Er hat die
Sun
gekauft, gleich nachdem die Redaktion die Geschichte über ihn und Rosie DiMaggio gebracht hatte. Mit ihr wurde gegen ein ehernes Gesetz in dieser Stadt verstoßen: Drucke kein Wort über J. P. Morgaunt, solange seine Anwälte es nicht gelesen und für unbedenklich erachtet haben.«
Als sie vor der Wohnung der Ashers ankamen, war sie dunkel und leer. Sie wollten schon wieder kehrtmachen, da näherten sich langsame, schwere Schritte die Treppe hinauf. Rivka Asher. Ein Blick in ihr Gesicht sagte Sascha, dass sie bereits vom Tod ihres Mannes gehört hatte. Wolf stellte sich mit sanfter, leiser Stimme vor. Das tat er immer, wenn er sein Gegenüber in einer wirklich schwierigen Lage wusste.
»Im Hippodrome hat man mir schon gesagt«, sprach Rivka Asher in akzentbeladenem, aber flüssigem Englisch, »dass Sie mit mir reden wollten.«
»Leider habe ich viele Fragen«, erläuterte Wolf, »die alle nicht sehr unterhaltsam sind. Aber es muss sein.«
»Ja, das muss es wohl«, seufzte sie.
Ihr Wohnungsschlüssel hing an einer kleinen, silbernen Kette, die an ihrer Bluse befestigt war. Orthodoxe Frauen trugen diese Ketten am
Schabbes,
um ihre Schlüssel nicht in der Hand tragen zu müssen. Sie schloss die Tür auf und bedeutete ihnen, ihr zu folgen. Die Tür ging direkt in ein mit allerhand Kram vollgestelltes kleines Esszimmer. Rivka sank auf einen Stuhl nieder, stützte den Kopf in die Hände und überließ es den anderen, ob sie stehen oder sich irgendwo setzen wollten. Fahles Gaslicht fiel durch die Fenster des vorderen Zimmers ein. Vor ihr auf dem Tisch lagen schon die Sabbatkerzen bereit. Daneben war auch ein Putzlappen, der aussah, als hätte sie ihn hastig weggelegt, ehe sie vom Tisch aufgestanden war. Die Nachricht von Ashers Tod muss sie mitten in der Schabbes-Vorbereitung erreicht haben.
Nach einer Weile hob sie die Augen und schien sich an den Besuch zu erinnern. »Sind
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