Der Schattenprinz
Khan.
Doch sie war schon fort.
Der alte Schamane hockte sich in den Staub und blickte angespannt in ein Kohlebecken auf einem eisernen Ständer. Um ihn herum saßen die Hauptleute der Nadir, die Kriegsherrn, die Herrscher der Horden.
Abseits der Menge, in einem Kreis aus Steinen, saßen die drei Verwandten: Tsuboy Sattelschädel, Shirrat Sprechendes Messer und Tenaka Khan.
Die Kriegsherren beobachteten einander voller Neugier und Interesse. Sattelschädel war eine kantige, kräftige Gestalt. Er trug das Haar in Flechten und einen gegabelten Bart. Sein Oberkörper war nackt und glänzte vor Öl.
Sprechendes Messer war schlank, sein langes Haar silbern durchwirkt. Er hatte es im Nacken zusammengebunden. Sein Gesicht war lang und traurig, was durch den herabhängenden Schnurrbart noch betont wurde. Seine Augen jedoch waren scharf und lebhaft.
Tenaka Khan saß ruhig bei ihnen und betrachtete das Grab, das im Mondschein silbrig schimmerte. Sattelschädel knackte laut mit den Knöcheln und spannte die Rückenmuskeln. Er war nervös. Seit Jahren plante er, die Führung der Wolfsschädel zu übernehmen. Und jetzt, wo seine Armee stärker war als die seines Bruders, mußte er mit einem einzigen Wurf um seine Zukunft spielen. So groß war die Macht der Schamanen. Er hatte versucht, Asta Khan zu ignorieren, doch selbst seine eigenen Kriegsherrn - geachtete Krieger wie Ingis - hatten ihn bedrängt, sich Rat bei ihrer Weisheit zu holen. Niemand wollte mit ansehen müssen, wie ein Wolf über den anderen herfiel. Sattelschädel fluchte innerlich.
Asta Khan richtete sich auf. Der Schamane war alt, älter als irgendein anderer Stammesangehöriger, und seine Weisheit war Legende. Er ging langsam auf die drei zu. Er kannte sie gut - wie er auch ihre Väter und Großväter gekannt hatte - und er sah die Ähnlichkeit zwischen ihnen.
Er hob den rechten Arm. »Nadir sind wir!« rief er, und seine Stimme strafte sein Alter Lügen, denn sie war voll und kräftig und klang über die versammelten Menschenmassen hinweg, die den Ruf feierlich erwiderten.
»Von dieser Queste gibt es kein Zurück!« sagte der Schamane zu dem Trio. »Ihr seid miteinander verwandt! Jeder von euch beruft sich darauf, vom großen Khan abzustammen. Könnt ihr euch nicht untereinander einigen, wer der Führer sein soll?«
Er wartete einige Sekunden, doch die drei schwiegen.
»Dann lauscht der Weisheit Asta Khans. Ihr glaubt, daß ihr gegeneinander kämpfen müßt - ich sehe, daß eure Körper bereit und eure Waffen scharf sind. Aber es wird keinen blutigen Kampf geben. Stattdessen schicke ich euch an einen Ort, der nicht von dieser Welt ist. Derjenige, der zurückkehrt, wird Khan sein, denn er wird Ulrics Helm finden. Der Tod wird euch näher sein, denn ihr werdet durch sein Reich wandern. Ihr werdet furchtbare Dinge sehen, die Schreie der Verdammten hören. Wollt ihr noch immer diese Queste?«
»Laß uns anfangen!« knurrte Sattelschädel. »Mach dich bereit zu sterben, Wechselbalg!« flüsterte er Tenaka zu.
Der Schamane trat vor und legte eine Hand auf Sattelschädels Kopf. Die Augen des Kriegsherrn fielen zu; sein Kopf sank auf die Brust. Sprechendes Messer folgte … dann Tenaka.
Asta Khan kauerte sich vor das schlafende Trio; dann schloß er die Augen. »Steht auf!« befahl er.
Die drei Männer öffneten die Augen und blinzelten überrascht. Sie befanden sich noch immer an Ulrics Grab, aber sie waren allein. Verschwunden waren die Krieger, die Zelte, die Lagerfeuer.
»Was bedeutet das?« fragte Sprechendes Messer.
»Das ist Ulrics Grab«, antwortete Asta Khan. »Ihr müßt nichts weiter tun als den Helm des schlafenden Khans holen.«
Sprechendes Messer und Sattelschädel stoben in Richtung des Grabmals davon. Es hatte keinen sichtbaren Eingang, keine Tür, nur glatten weißen Marmor.
Tenaka setzte sich, und der Schamane hockte sich neben ihn.
»Warum suchst du nicht zusammen mit deinen Vettern?« fragte er.
»Ich weiß, wo ich suchen muß.«
Asta Khan nickte. »Ich wußte, daß du zurückkommen würdest.«
»Woher?«
»Es steht geschrieben.«
Tenaka beobachtete, wie seine Vettern das Grab umrundeten, und wartete auf den Augenblick, da beide außer Sicht waren. Dann stand er auf und rannte zu der Kuppel. Sie zu erklettern war nicht schwierig, denn die Marmorplatten waren an den Sandstein genietet, und dadurch fanden seine Hände dort Halt, wo die Blöcke aneinanderstießen. Er hatte bereits den halben Weg zur Statue Ulrics zurückgelegt,
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