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Der Schattensucher (German Edition)

Der Schattensucher (German Edition)

Titel: Der Schattensucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Braun
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musst nur warten.«
    Nur warten. Alvin hörte sich selbst, als er das in Gedanken sagte. Und sie antwortete in seiner Vorstellung mit einem besänftigten, aber angespannten Blick. Sie nahm seine Herausforderung an. Doch als das Bild vor seinen Augen verschwamm und er wieder die schlichte Kammer wahrnahm, in der er sich befand, war ihm klar, dass er sich nur selbst Hoffnungen machte und dass die Wirklichkeit ganz anders sein konnte. Vielleicht lag sie gerade im Bett und wurde von ihrer Enttäuschung zerfressen.
    Um nicht weiterzudenken, wandte er sich wieder dem Tagebuch auf seinem Tisch zu. Seinen letzten Satz hatte er bereits vergessen:
    Drei Jahre, nachdem die Stadt ihren Grafen endgültig entmachtet hat, geben sich die Menschen recht selbstständig.
    Er dachte darüber nach, wie er das gemeint hatte. Galt diese Einschätzung ihrer Lebensführung oder ihrem Reden? Wen hatte er damit im Blick gehabt? Ihm fielen zwei Begegnungen des Tages ein und er setzte die Feder wieder an:
    Ich hatte ein aufschlussreiches Gespräch mit einem Müller. Er erzählte mir von seinen drei Kindern und davon, dass er sein Geschäft erst vor zwei Jahren gegründet hat. Er weckte in mir das Gefühl, dass die Menschen in Alsuna offener sind als manche Leute in meiner Heimat. Sie reden mit weniger Furcht in den Augen und scheuen es nicht, sich auf Ideen einzulassen, die ihnen bisher fremd sind. Das hat mich tief beeindruckt.
    Er hielt inne, um die Feder wieder in die Tinte zu tauchen. In Wirklichkeit aber musste er noch seinen nächsten Gedanken finden. Er dachte an den Müller, dann schrieb er weiter:
    Allerdings kann ich dieser Unbekümmertheit nicht so ganz trauen. Sind sich die Menschen der Probleme in dieser Stadt nicht bewusst oder versuchen sie nur, den Gedanken daran zu vermeiden? Ich versuchte, den Müller auf das Thema …
    Er wurde unterbrochen, als es an der Tür klopfte. Nur einmal und ganz zaghaft. Alvin sagte sogleich »Ja?« und drehte sich zur Tür um. Der Wirt, bereits im Nachtgewand, schaute beschämt zum Türspalt herein. Er entschuldigte sich für die späte Störung. Alvin stand auf, ging mit der Kerze zu ihm und öffnete die Tür vollends. »Schon in Ordnung. Ihr seid der Hausherr.«
    »Ja, ja. Aber Ihr ahnt nicht, dass ich erneut mit einer Bitte zu Euch komme.«
    Jetzt dachte Alvin, dass er seine letzten Sätze anders hätte schreiben sollen. Er entdeckte in den Augen des Wirtes trotz des schwachen Lichts eine tief sitzende Angst. Tagsüber, wenn der Mann fröhlich seiner Arbeit nachging, fiel das nicht auf. Aber jetzt … Alvin zuckte innerlich zusammen.
    »Ich habe es immer geschätzt, wenn Ihr eine Aufgabe für mich hattet«, sagte er beruhigend.
    »Ich danke Euch. Ihr seid ein guter Mensch. Seht Ihr, meine Situation ist im Moment nicht die einfachste. Da meine Frau nicht in der Lage ist … ihre Arbeitskraft einzubringen, bin ich auf fremde Hilfe angewiesen. Sie wird morgen nicht hinterm Tresen stehen können und die Gäste wollen bedient werden … Ich muss dringend zum Markt, einkaufen … Und da kam mir die Idee, da Ihr doch schon einmal ausgeholfen habt … Ihr versteht. Es wäre kein Zwang, Ihr bekämt den Tag auch kostenlos, dazu Speisen und Getränke, so viel Ihr wollt …«
    »Das kann ich gerne tun.«
    »Ihr habt Euch schon entschieden?«
    Alvin nickte.
    »Oh, ich danke Euch. Ihr seid ein guter Mensch.«
    Alvin ließ sich von ihm halb in die Arme schließen. Der Wirt brach die Geste ab, als er merkte, dass es sich unangemessen anfühlte, seinen Gast zu umarmen. Er begann, sich stotternd zu verabschieden. »Nun dann …«
    »Eure Frau kann nicht arbeiten, sagtet Ihr?«, fragte Alvin und schaute ihm in die Augen.
    »Ja, sie fühlt sich nicht in der Lage im Moment … übermorgen wird sie sicherlich …«
    »Ich verstehe.« Alvin fiel ein, dass er die Wirtin seit seiner Ankunft selten gesehen hatte. Hinterm Tresen hatte meist der Wirt selbst gestanden. »Sie ist also krank?«
    »Sicher nichts Ernstes, sie hat zu viel gearbeitet in letzter Zeit.«
    »Ihr wisst aber nicht, was ihr fehlt?«
    »Nein. Ich bin kein Fachmann und bislang war das auch nicht nötig.«
    »Könnt Ihr ihren Zustand beschreiben?«
    Jetzt wurden die Worte des Wirtes zittrig. »Sie hat … nun ja … es wird wohl nichts Ernstes sein … einige Atemschwierigkeiten. Und sie schwitzt etwas mehr … ja … und dann sind da noch diese … nun ja, diese Adern.«
    »Könnt Ihr das genauer beschreiben?«
    »Sie sind … an der Schläfe. Immer

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