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Der Schattensucher (German Edition)

Der Schattensucher (German Edition)

Titel: Der Schattensucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Braun
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in der Stadt, dem kein Fenster zugewandt war. Wenn Levin sich mit den Auftraggebern traf, wurden alle Einzelheiten des Auftrags besprochen: Was er holen musste und was er dafür bekam. Übergabe war dann meist im Haus des Auftraggebers. Eine sichere Sache, denn keiner konnte so unauffällig wie er an einen Ort gelangen und wieder verschwinden.
    Auch Darius würde sicherlich preisgeben, in welchem Haus er lebte. Doch Levin wusste nicht, wie viel diese Beschreibung wert sein würde. Jedes Wort, das aus dem Mund des Boten gekommen war, hatte völlig wahr und zugleich unwesentlich gewirkt, als verberge sich dahinter eine ganz andere Wahrheit. Vielleicht war es dieses sichere, unbeeindruckte Gesicht gewesen, ja, das musste es sein. Was es vermittelt hatte, war etwas ganz anderes gewesen als die Worte, die aus dem Mund des Mannes gekommen waren. Es hatte von einem bedeutungsvollen Geheimnis erzählt, von einer Sache, die viel größer war als alles, was Levin sonst gewohnt war. Doch weil er sich selbst kannte und wusste, dass es nichts gab, was ihn jemals überwältigen würde, tastete er sich vorfreudig, gespannt und gleichzeitig angriffslustig die Straße zum Bürgerviertel hinauf.

5. Kapitel
    Alsuna, Jahr 295 nach Stadtgründung
    Alvin hatte sich auf den Rat des Alten hin eine nordländische Kappe gekauft. Sie sei genau das Richtige für die anbrechende kühle Jahreszeit. Außerdem trug er schwarze Stiefel, die ihm ein redseliger Händler angedreht hatte. Das alles passte nicht schlecht zu seinen rotblonden Locken, den einfachen Leinenkleidern, seinem kräftigen, bräunlichen Gesicht. Er hatte den Schnurrbart durch einen gepflegten Vollbart ersetzt. Man konnte ihn für einen bescheidenen Kaufmannsgehilfen, einen wohlhabenden Bürger, vielleicht auch noch für einen Handwerker halten.
    Die ersten Wochen lebte er im Alten Junker , einem billigen Gasthaus. Es war das einzige in der Nähe des Marktes, das noch Platz hatte. Morgens half er beim Melken der Kühe, was ihm die Unterkunft noch billiger machte. Bald schon bot ihm der Wirt an, beim Schlachten zu helfen, beim Putzen der Gaststube, beim Ausschank. Er hätte sich damit eine kostenlose Unterkunft verdienen können, doch Alvin lehnte vorerst ab. Er hatte den Tag über zu tun.
    Nach dem Frühstück zog er immer los, ging auf den Markt und bot an einem kleinen Tischchen an, Edelsteine zu schleifen. Er durfte den großen Stein des Messerschleifers mitbenutzen und erntete neugierige Blicke, wenn er sein Werk tat. Viel verdiente er dabei nicht, denn die Reichen zogen es in der Regel vor, ihre Steine den bekannten Schleifern im Kaufmannsviertel anzuvertrauen. Doch wenn es Alvin allein ums Geld gegangen wäre, hätte er einfach selbst ein paar Steinchen verkauft. Für ihn wäre das eine Kleinigkeit gewesen. Doch er hätte wohl kaum so unbefangen mit den Leuten reden können. Sie hätten ihm misstraut oder ihn beneidet, viele hätten über ihn geredet. Er wollte nicht auffallen. Er wollte einfach einer der Ihren sein.
    Nachmittags erkundete er die Straßen. Einmal half er bei einem Hufschmied aus, ein anderes Mal bei einem Bäcker. Er bekam wenig Geld dafür, nicht mehr als zwei Makel am Tag. Aber er lernte die Menschen kennen. Er konnte sich ein Bild davon machen, wie sie redeten, dachten, lebten. Abends saß er in seiner Kammer und schrieb alles auf Papierbögen. Manchmal waren es einsame Abende und er dachte unwillkürlich an sie . Wenn es ruhig war, glaubte er fast ihre Stimme zu hören, ihre direkte, ungekünstelte Ausdrucksweise, und ein Bild entstand vor seinem inneren Auge. Dann stellte er sich einen Dialog mit ihr vor. Er sprach nicht laut, aber in Gedanken formte er klare Sätze.
    »Du bist gegangen und hast mich nicht mitgenommen, mir nichts gesagt.«
    »Ich durfte dir nichts sagen. Glaube mir.«
    »Gibt es also Dinge, die wir uns nicht sagen?«
    »Vertraue mir. Ich belüge dich nicht.«
    »Warum forderst du das von mir? Habe ich dir bisher nicht vertraut?«
    »Doch, das hast du. Du bist zu uns gekommen und hast dich mir anvertraut. Ich habe das nicht vergessen. Du hast meinetwegen alles zurückgelassen. Viele haben dich abgelehnt und dann bist du immer zu mir gekommen und hast dich ermutigen lassen. Und selbst bei meinem Vater … selbst gegen ihn … Ich weiß, es war nicht leicht für dich, ist es immer noch nicht. Du hast dir nicht den einfachsten Ort ausgesucht. Und trotzdem bitte ich dich: Vertraue mir dieses eine Mal noch blind. Ich werde zurückkommen. Du

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