Der Schattensucher (German Edition)
die Festung regelmäßig mit Wein.«
»Seit zwölf Jahren ist es aber doch verboten, nach Briangard zu kommen.«
»Nun, es gibt in der Nordstadt mehrere brianische Landwirte. Die Festung ist isoliert und muss irgendwie beliefert werden. Der brianische Hauptmann hat für uns deshalb eine Sonderregelung mit dem Senat ausgehandelt. Wir durften als Brianer in Alsuna leben und zu Handelszwecken Briangard aufsuchen. Meine Mutter hatte sich geschworen, diesen Ort nie wieder zu betreten. Sie blieb grollend zu Hause, wenn mein Vater mich neben sich auf den Wagen setzte und Weinlieferungen auf die Festung brachte.«
»Dann warst du also als kleines Mädchen häufig auf Briangard?«
»So ist es.«
»Der Graf? Kennst du ihn?«
»Die gewöhnlichen Brianer bekommen nur wenig vom Grafen mit. Er ist in seinem Palast, sie leben überwiegend im Vorhof.«
Levin hatte einen unliebsamen Gedanken, mit dem er sich noch etwas anfreunden musste. Doch er brauchte mehr Informationen.
»Wie lief das ab, wenn ihr eure Lieferung gebracht habt?«
»Mit den Jahren gab es immer strengere Kontrollen am Tor und im Hof der Festung. Man muss das Brandmal vorzeigen und nachweisen, dass die Ware auf dem Wagen in Ordnung ist. Mein Vater musste vor den Augen der Wachen einen Schluck seines Weines nehmen.«
»Man kommt also ohne dieses Abzeichen nicht hinein?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wenigstens einer aus der Familie muss Brianer sein.«
»Man kann es nicht kopieren?«
»Nein. Das Abzeichen wird mithilfe einer Meskanmischung unter die Haut gebrannt. Man sagt, es schützt uns, weil das Meskan Lebenskraft in unseren Körper bringt. Nur der Graf kennt diese Mischung. Ein falsches Abzeichen ist sofort zu erkennen.«
Levin merkte, dass Elenas Bedrückung einer regen Gesprächsbereitschaft gewichen war. Das kam ihm recht, auch wenn ihm der Gedanke schwerfiel, dass er sie in seine weiteren Pläne einbeziehen musste. Zum ersten Mal war er gezwungen, die Hilfe eines anderen Menschen in Anspruch zu nehmen.
»Wie viel Geld würdest du verlangen, wenn du mich nach Briangard schleusen solltest?«
»Du möchtest in die Festung? Als Alsuner?«
»Als dein Ehemann.«
Sie schaute ihn überrascht an. Doch irgendwie traute er diesem Blick wieder nicht recht. Schon längst schien sie zu wissen, wohin ihr Gespräch führen würde.
Eine Weile zauderte sie noch, Levin musste seine ganzen Überredungskünste einsetzen, ehe sie sich bereit erklärte.
Sie verlangte viel. Er musste ihr jeden Tag bezahlen, den sie durch die Sache verlor. Und er musste ihr versprechen, keinem einzigen Menschen in Alsuna von ihrem Brandmal zu erzählen.
»Wie oft möchtest du hin?«, fragte sie.
»Einmal.«
»Was auch immer du auf Briangard vorhast: Du weißt, dass man uns in jeder Sekunde überwacht, und sobald wir die Fässer abgeladen haben, schicken sie uns wieder nach draußen.«
»Das habe ich mir schon gedacht. Bereite dich darauf vor, dass wir für eine längere Zeit auf Briangard bleiben werden.«
Sie schaute misstrauisch, doch er wollte nicht mehr verraten. Er hatte eine Idee. Aus seiner Niederlage würde er sich einen Sieg schmieden. Doch wie so vieles in dieser Nacht würde das äußerst schmerzhaft für ihn werden.
13. Kapitel
Dreißig Mitglieder zählte der Senat. Sie saßen an vier Tischen, die zum Rechteck aufgestellt waren. Der diesjährige Senatssprecher Philus hatte einen Einzeltisch, ihm gegenüber saßen die acht Vertreter aus dem Handwerkerviertel. Die beiden Flanken bildeten zehn Kaufleute auf der einen und eine Reihe mit Minenarbeitern, zwei Bauern und vier Gelehrten auf der anderen Seite. Sie konnten von ihren Plätzen aus auf die mächtige Fensterfront schauen, hinter der sich der Balkon anschloss. Es war hell im Raum. Das gemütliche Kaminfeuer wäre nicht nötig gewesen. Es schuf jedoch eine gewisse friedliche Atmosphäre in der Runde. Nobel und würdevoll ging es meist zu. Wer redete, schob den schweren Holzstuhl mit dem Schnitzwerk zurück und wählte einen höflichen Ton, der seiner Herkunft entsprach. Über die Jahre hatte sich im Senat ein Stil entwickelt, der vergessen ließ, dass manche der hier vertretenen Gruppen im städtischen Alltag jeglichen Umgang miteinander mieden.
Früher war es öfter laut geworden. Im hinteren Teil des Raumes und oben auf der Galerie waren Bänke für die Bürger aufgestellt und nicht selten waren sie bis auf den letzten Platz besetzt gewesen. Oft konnten Sitzungen nicht weitergeführt werden, weil einige
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