Der Schattensucher (German Edition)
Sie trug ein zweiteiliges Gewand mit dunkelgelben Seidenornamenten, das schräg um ihren Körper gewickelt war.
Sie kann nicht zu denen gehören , sagte er sich, sie ist eine von den Edlen. Eine solche Hure leisten sich nur reiche Männer, Kaufleute mit fetten Bäuchen. Was hat sie hier verloren und was will sie von mir?
Die Art, wie sie geschminkt war, passte zum Rest ihrer Erscheinung. Ihr Gesicht war stark gepudert, die Augenpartie schwarz umrandet. Doch als er ihren Blick direkt erwiderte, glaubte er für einen Moment, eine ganz andere Frau zu sehen. Er entdeckte eine enttäuschte, unruhige Seele. Nur für einen Moment ließ sie sich auf den Blickwechsel ein, dann senkte sie die Lider, warf ihm aus den blauen Augen einen erotischen Blick zu und tänzelte verführerisch um ihn herum. Doch es war zu spät. Levin hatte erkannt, dass sie nur in einer Hülle steckte. Ihre weiblichen Formen schienen üppig, doch er sah, dass das vor allem durch die Art so wirkte, wie sie ihre Hüften und ihr Dekolleté zurechtgemacht hatte.
»Ich bin Elena.«
Die Worte unterbrachen Levins Beobachtungen. Zugleich wusste er sich bestätigt. Sie klang so unecht verführerisch, dass es ihn zu reizen begann, sich vorzustellen, wie sie wohl in Wirklichkeit redete.
Zuerst blieben die Worte im Raum stehen, als wären sie auf eine unsichtbare Wand geprallt. Levin schwieg, Elena schien sich zu fragen, ob er sie gehört hatte. Doch er musste sie gehört haben, denn er sah sie unentwegt an.
»Du bist … so allein«, machte sie weiter.
»Suchst du jemand?«, erwiderte Levin schließlich mit krächzender Stimme.
Elena verstand die Worte als Einladung und kam näher an seinen Tisch. Sie beugte sich vor und schien zu wissen, dass sich die lodernde Wandfackel in ihren Augen spiegelte.
»Vielleicht suchst du jemanden?«, fragte sie zurück.
»Seh ich so aus?«
»Ja, das tust du.«
»Irrtum. Schwirr ab.«
»Aber ich habe dich bemerkt.«
»Und?«
»Ich bemerke nur die Männer, die etwas suchen.«
»Ach. Was suche ich denn?«
»Die da hinten suchen Schenkel und Brüste. Du suchst … Gesellschaft.«
»Du musst eine ziemlich schlechte Hure sein, wenn du Männer umwirbst, die nur Gesellschaft wollen.«
»Dennoch habe ich recht.«
Levin beschloss, ihr nicht zu widersprechen. Er war neugierig, wie sie es anstellen würde.
»Darf ich mich setzen?«, fragte sie.
»Muss ich dafür auch schon etwas springen lassen?«
»Noch nicht.« Sie setzte sich ihm gegenüber. »Und jetzt erzähl.«
Er runzelte fragend die Stirn.
»Du bist kein Arbeiter, der erschöpft aus der Mine kommt. Also: Was hast du heute erlebt, dass du so verzweifelt dreinschaust?«
Sie ist gut , sagte er sich, sie ist sehr gut. In wenigen Augenblicken hat sie mich vergessen lassen, dass ich mir heute beinahe die Beine und die Schulter zertrümmert habe, und im nächsten Moment holt sie alles wieder hervor.
»Schön, wenn du’s hören willst: Es war der mieseste Tag meines Lebens. Seit Jahren beherrsche ich mein Handwerk besser als jeder andere. Ich hatte die reichsten Kunden, die größten Aufträge und immer waren sie zufrieden. Bis heute. Kennst du das? Man fordert von dir ein Kunstwerk, wie du es schon öfter gemacht hast, nur größer und prächtiger. Und du fängst an wie immer, machst alles noch besser und stellst fest, dass du völlig danebenlagst. Ach was, du kennst das natürlich nicht. Deine Aufgabe ist doch immer die gleiche.«
»Du vergisst, dass auch ich eine Künstlerin bin. Ob mich ein Mann einfach nur bezahlt oder ob er wiederkommen will, ist ein großer Unterschied.«
»Bei mir gibts kein Wiederkommen. Bist du bei den Wachen einmal aufgeflogen, kommst du nie wieder rein.«
»Von welchen Wachen sprichst du?«
Levin erschrak. Was hatte er eben gesagt? Hatte sie ihm etwa schon die Kontrolle geraubt? Er schenkte sich den Becher voll und gab seiner Stimme einen lallenden Unterton. »Hab ich Wachen gesagt? Ich sag ja: ein verfluchter Tag, nichts passt mehr zusammen.«
Elena lehnte sich zurück. »Nun, mit Wachen kenne ich mich aus.«
»Da sieh einer an.«
»Sie wirken so ernst und gefährlich. Aber wenn man sie mit den richtigen Worten reizt, kann man viel Spaß mit ihnen haben. Dann vergessen sie, dass sie einen Palast bewachen müssen.«
»Einen Palast?« Levin horchte auf. »Wie kommst du darauf?«
Daraufhin erzählte sie, dass sie als kleines Mädchen häufig mit schwarz gekleideten Wachen gespielt habe. Als er weiter nachfragte, lenkte sie ab und
Weitere Kostenlose Bücher