Der Schattensucher (German Edition)
zusammengebaut war.
»Ich muss nur noch die Tragfläche abschleifen, dann ist er fertig. Der Karren wird uns sicher gute Dienste beim Holzholen leisten.«
»Das hast du gut gemacht. Du wirst es weit bringen mit deinen Fertigkeiten«, sagte Alvin.
»Glaubst du?«
»Deine Zeit wird kommen.«
»Wenn es doch schon so weit wäre. Dieses ewige Holzhacken und Suppenkochen …«
Alvin verstand Ramons Sorge. Kaum einer von hier schaffte es, auszubrechen und in das gewöhnliche Stadtleben hineinzufinden. Man hatte nicht die Zeit und auch nicht die Möglichkeiten, eine höhere Fähigkeit zu erlernen. Man lebte und arbeitete für den nächsten Tag, viel weiter dachten die wenigsten.
Ramon war eine Ausnahme. Abends, wenn sie alle ermüdet vom Tag draußen saßen, machte er sich ein Feuer hinterm Haus, nahm den Hammer, den er sich gebastelt hatte, und schmiedete drauflos. Zunächst hatte er nur Töpfe und Äxte ausgebessert, irgendwann, als ihm alte Hufeisen in die Hände fielen, fertigte er Messer und Löffel an, bald sogar einen Grillrost. Man dankte ihm und freute sich, doch nur Alvin sagte ihm, dass er mit jedem Mal besser wurde.
Ramon war immer arm gewesen, schon seine Eltern waren arm gewesen, niemand hatte ihm etwas beigebracht. Doch er hoffte, dass er eines Tages so weit sein würde, dass er seine eigene Schmiede eröffnen konnte.
»Sag mal, was ist das eigentlich an deiner Schulter?«, fragte Ramon. Er zeigte auf die Unregelmäßigkeit auf der Haut.
Alvin fuhr mit dem Finger darüber. »Ein Stück Vergangenheit. Nichts, worüber ich rede.«
»Verstehe.«
Sie unterhielten sich noch eine Weile, dann schlossen sie die Augen und gaben sich der allgemeinen Stille hin.
Sie währte nicht lange, denn nach kurzer Zeit vernahmen sie von draußen ein wüstes Wehklagen. Es kam näher, eine bullige Stimme, die bald so laut war, dass alle im Raum wach wurden. Die Tür wurde aufgestoßen und ein Mann schwankte fluchend und schluchzend herein. Zwei standen auf und hielten ihn fest. »Was ist los?«, fragte einer.
»Sie ist tot«, stieß der Mann mit leeren Augen hervor und schlug mit der Faust gegen einen Holzpfeiler. »Tot. Für immer.« Er klammerte sich heulend an den Pfeiler und ließ sich herabsinken. Die beiden wagten nicht, ihm zu nahe zu kommen.
Sie kannten ihn. Es war Evan, der noch nicht lange unter ihnen lebte. Er hatte sich schnell Respekt erworben und eine allein lebende Frau hatte er bald sein Eigen genannt. Seit Wochen ging er zu ihr. Kaum einer wusste, dass sie schon lange an der Seuche litt. In dieser Nacht war sie offenbar gestorben.
Evan musste mächtig getrunken haben. Als man ihn zu beruhigen versuchte, fauchte er wild zurück, dass sie tot sei. Für eine Weile blieb er zusammengekauert am Pfeiler hocken, verlor sich in bitterem Weinen, dann hob er den Kopf und begann, Flüche auf den Grafen auszustoßen. Er zischte die furchtbarsten Beschimpfungen und Racheschwüre.
Jetzt erhob sich ein junger Mann, der immer neben seinem Vater schlief. Er trat zu Evan und bat ihn, mit den Flüchen gegen den ehrwürdigen Grafen aufzuhören. Evan wetterte weiter. Der Junge drohte ihm. Evan hörte nicht auf, seine Worte wurden nur vernichtender.
Da schaute ihm der junge Mann kalt in die Augen und sagte: »Die Seuche war die Strafe für ihre Unzucht. Jeder weiß doch, wie viele Männer zu ihr gegangen sind.«
Kurz wurde Evan still, dann schaute er mit gebleckten Zähnen auf und ehe der junge Mann wusste, wie ihm geschah, sprang Evan ihn an. »Schweig, du verfluchter Hund!«
Der Junge wich aus und fauchte zurück, dass sie eine Hure gewesen sei.
»Das wirst du bereuen!«
»Verschwinden solltest du hier, besoffen wie du bist!«
Evan holte wieder aus, seine Bewegungen wirkten unbeholfen. Er schlug an dem Jungen vorbei, dieser packte Evan und stieß ihn von sich. Alle im Raum standen und hatten sich um die beiden gruppiert. Evan ging vor der Wand zu Boden und wehrte die Hände ab, die ihm aufhelfen wollten.
»Du wirst es bereuen«, brach es kalt aus ihm hervor. Er richtete sich auf, packte Ramons Karren und holte aus.
»Nicht!«, schrie jemand.
Der Junge duckte sich weg und hielt die Arme vors Gesicht. Evan schwang den Karren durch die Luft – und schlug vorbei. Der Junge kreischte und wich zurück.
»Jetzt hast du Angst, oder?«
»Nicht vor dir!«
Er holte erneut aus. Der Junge sprang zurück, stolperte und fiel rücklings zu Boden.
Sie versuchten Evan zurückzuhalten, doch er schwang den Karren nach unten,
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