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Der Schattensucher (German Edition)

Der Schattensucher (German Edition)

Titel: Der Schattensucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Braun
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mehr als genug für einen niedrigen Diener, auch nur der entfernten Gegenwart des Erbauers beizuwohnen. Eine Begegnung ist den Auserwählten vorbehalten. Niemand von uns gehört dazu.«
    »Wird der Erbauer zu uns sprechen?«
    »Das wird er sicher.« Die Stimme des Knechts wurde hastiger. Immer öfter schaute er zum Tor hinüber. »Meistens spricht er Worte zu uns. Aber ich kann Euch nicht sagen, was …« Er brach ab und beeilte sich, auf die Knie zu fallen. Er war nicht der Einzige. Schnell schloss Levin sich an und blickte zum Tor hinüber. Die Flügel waren schon seit geraumer Zeit offen, jetzt erschien ein bärtiger Mann mit hellen Kleidern und einer leichten Metallrüstung. Er trug einen schlichten Helm, überall war das Metall mit Tierfellen gesäumt. Ihm folgten Jason und zwei Wachsoldaten, die ähnlich gekleidet waren wie der erste Mann.
    »Der Hauptmann der inneren Wache«, flüsterte ihm der Knecht zu, verstummte aber sogleich, als bereue er seine riskante Hilfsbereitschaft.
    Die Stille über dem Platz war atemberaubend. Sie war so vollkommen, dass man eine Kuh aus einem weit entfernten Stall ebenso hörte wie die Schritte der hereinziehenden Männer am Tor und das Klirren ihrer Rüstungen.
    Auf die beiden Wachen folgten zwei weitere Wachen und man erkannte, dass sie etwas hinter sich hertrugen. Das muss er sein , dachte sich Levin, als er mit demütig gesenktem Kopf aus den Augenwinkeln das Gestänge erkannte, das die beiden Wachen und zwei weitere Männer durch das Tor schleppten. Der Graf saß auf einem gepolsterten Stuhl in der Mitte des Gestänges, sein weites blaues Gewand bedeckte den größten Teil des Stuhls. Levin konnte von seinem Platz aus noch nicht viele Einzelheiten erkennen. Aber er sah die lila Kappe auf dem Haupt des Grafen, Silber und Gold waren darin verarbeitet und winzige Edelsteinchen bildeten feine Linien. Er machte wenige Gesten, schaute nur abwechselnd nach links und rechts zu den Leuten und nickte schwach.
    Bald näherte sich der Zug der Stelle, an der Levin kniete. Seine Augen hafteten auf dem Gesicht des Grafen, das er nun immer besser erkennen konnte. Es war umrahmt von dunkelgrauen Haaren, die an der Seite herabhingen und oben von der Kappe bedeckt wurden. Sie schienen in Form buschiger Augenbrauen und eines Vollbarts in das gut genährte Gesicht hineinzuragen. Die Nase war knollig, über die Stirn zogen sich markante Längsfalten. Zwei runde braune Augen ließen einen äußerst wachen und weitläufigen Blick über die Menschenmenge schweifen. Nichts, empfand Levin, was in diesem Hof geschah, schien diesen Augen auch nur einen Moment zu entgehen.
    Levin senkte den Kopf noch tiefer und ließ seinen Blick vorsichtiger werden. Im Moment ging von diesem Gesicht weder Schrecken noch Glück aus. Es war völlig unbewegt wie ein ruhendes Meer und verlieh seinem Besitzer eine unermesslich scheinende Autorität, denn man konnte sich vorstellen, dass das Gesicht des Erbauers zu einem außergewöhnlich erhebenden wie auch zu einem unendlich vernichtenden Ausdruck fähig war. Dass er diese Fähigkeit momentan nicht im Geringsten einsetzte, machte seine Erscheinung umso wirkungsvoller.
    Lächerlich , dachte Levin, keine hundert Meter sind es bis zum Podest und er lässt sich tragen. Wie sie sich alle davon beeindrucken lassen. Nur weil einer auf zwei Holzstangen sitzt.
    Als der Graf an Levin vorüber war und den restlichen Weg bis zum Podest die Huldigungen seines Volkes entgegennahm, dachte Levin nach, welche der vielen Vermutungen über den Grafen wohl stimmen könnten. Er war sich unsicher. Vielleicht , sagte er sich, muss ich ihn erst sprechen hören. Eine Stimme verrät viel über einen Menschen.
    Bald war der Graf am Podest angekommen. Seine Männer setzten die Sänfte oben ab, sodass er von allen Seiten gesehen werden konnte. Er machte keine Anstalten, die ehrfürchtige Stille allzu eilig zu beenden. Seine Augen schienen jeden der vielen Hundert Menschen im Hof zu mustern. Erst nachdem ein unscheinbares Lächeln über sein Gesicht gehuscht war, begann er mit rauer Stimme zu reden.
    »Meine lieben Söhne und Töchter.« Er machte eine erste Pause. »Ich freue mich, wieder unter euch zu sein. Danke, dass ihr gekommen seid, um eurem Erbauer die Ehre zu erweisen. Treue und Hingabe, das ist es, was ihr mir nun schon seit vielen Jahren erweist. Eure Treue erweist sich darin, dass kein Wort des Unmuts, des Zweifels, der Entwürdigung je über eure Lippen gekommen und an mein Ohr gedrungen

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