Der Schattensucher (German Edition)
Freude zu mindern, sich Brianer nennen zu dürfen. Freilich bot ihnen der gewaltige Vorhof mehr Raum als so manches Viertel in der Stadt unten. Armut gab es auf Briangard nicht und auch die Seuche plagte hier niemanden. Vielleicht hatten sie das bessere Leben. Doch Levin stellte bereits nach zwei Tagen fest, dass ihm die Enge sehr auf sein Gemüt drückte. Nichts, was er in seinem bisherigen Leben genossen hatte, konnte er hier tun. Nicht er selbst bestimmte, wie sein Tag aussah, sondern allein sein Umfeld. Wenigstens wurde es allmählich mit seiner Schulter besser.
An den Nachmittagen saß er mit Jason und zwei anderen Männern zusammen und beantwortete ihre Fragen. Sie wollten nicht nur den Einbrecher beschrieben haben, sondern auch jede Kleinigkeit über sein eigenes Leben wissen. Er gab ihnen die Antworten, die er sich in den Nächten zurechtgelegt hatte, und immerzu wunderte er sich, wie authentisch sich das erfundene Leben anfühlte, das er Tag für Tag weiterspann. Allmählich gewöhnte er sich an die neue Maske in Form seines eigenen Gesichts.
Je mehr sie ihn über sein Leben befragten, umso mehr teilte er am Abend Elena mit. Es hätte ihn gewundert, wenn sie nicht auch noch an die Reihe kommen würde. Jedes Detail schärfte er ihr ein, einschließlich seines Einfalls, dass sie sich bei einem Aufmarsch der Stadtwache unsterblich in ihn verliebt habe, als er noch ein strammer Soldat gewesen sei. Elena hatte ihm wilde Beleidigungen an den Kopf geworfen und geschworen, dass sie Jason ihre eigene Version vortragen werde.
Am fünften Tag wurde Elena tatsächlich befragt, allerdings waren sie nach einer Stunde schon fertig.
»Was ist?«, fragte Levin, als sie zurückkam. »Was hast du mit ihnen angestellt, dass sie dich jetzt schon in Ruhe lassen?«
»Nicht das, was du denkst. Ich war wohl einfach überzeugend.«
»Ich sag dir etwas: Dein lächerliches Brandmal hat sie überzeugt, mehr nicht. In diesen elenden Mauern zählt man doch nur etwas, wenn einem als Säugling ein heißes Eisen auf die Schulter gedrückt wurde. Eine heuchlerische Welt ist deine Heimat!«
»Das klingt, als wären dir die langen Befragungen der letzten Tage schlecht bekommen«, sagte Elena und biss in einen Apfel.
»Mir ist etwas anderes schlecht bekommen: Wir sind nun fünf Tage auf Briangard und noch immer habe ich nichts vom Grafen gesehen.«
»Was hättest du erwartet? Dass er dich am Tor begrüßt?«
»Nein. Aber …« Levin schaute aus dem Fenster in den Hof, als könne er von hier eine Stelle ausmachen, durch die man in den Palast gelangen konnte.
Elena hörte auf zu kauen, ihr Gesicht fror ein. »Dann ist es also das, was du hier suchst.«
Levin antwortete nicht.
»Du willst ihn … töten?« Sie starrte ihn erwartungsvoll an, Levin drehte sich zu ihr um und kehrte aus seiner inneren Abwesenheit zurück.
»Nein. Ich will ihn nicht töten. Ich will ihn nur sehen.«
»Verstehe. Das hättest du mir früher sagen können.«
»Hätte das etwas geändert?«
Es klopfte an der Tür. Jason bat, hereingelassen zu werden. Elena öffnete ihm.
»Verzeiht die Störung. Ich habe Euch eine Mitteilung zu machen. Meine beiden Berater und ich sind zur Überzeugung gelangt, dass Eure Geschichte glaubwürdig ist. Ich habe mit dem Oberhauptmann gesprochen und der wiederum mit dem Erbauer. Hier sind hundertfünfzig Makel Belohnung, der Erbauer dankt Euch für Eure Hilfe.«
Levin nahm den Beutel entgegen und bedankte sich.
»Dankt nicht mir, sondern Eurer Frau. Sie hat uns schnell davon überzeugt, dass Ihr die Wahrheit gesagt habt. Allerdings habt Ihr uns die Geschichte von Eurem verunglückten Heiratsantrag verschwiegen; das einzige Mal, dass wir etwas zu lachen hatten.«
Levin schaute Elena finster an.
»Nun, ich denke, das war's. Dank Eurer Auskünfte werden wir den Ritter hoffentlich bald erwischen.«
»Ihr werdet ihn jagen?«
»Nein, der Erbauer hält es für unnötig, der Spur nachzugehen. Wir rechnen damit, dass er von alleine wiederkommt.«
»Und was wird nun aus uns?«
»Wie meint Ihr das?«
»Wo werden wir bis dahin wohnen?«
»Das ist nicht meine Sache. Hauptsache, Ihr verschwindet hier.«
»Ihr wollt uns nach Alsuna zurückschicken? Ihr wollt mich dem Ritter ausliefern, der vermutlich schon auf der Suche nach mir ist?«
»Das war Eure Entscheidung, als Ihr ihn bestohlen habt.«
»Ich war davon ausgegangen, dass wir in Briangard bleiben können, bis der Mann gefasst ist.«
»Dann habt Ihr Euch geirrt.«
Levin
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