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Der Schattensucher (German Edition)

Der Schattensucher (German Edition)

Titel: Der Schattensucher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timo Braun
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dahinter.«
    »Und die hängt mit dir zusammen, stimmts?«
    »So könnte man es sagen. Weil sie ihrem Herrscher nicht mehr vertrauten, vertrauten sie zunächst nur noch den Regeln, so wie einige Brianer. Da die Regeln für sich genommen ziemlich trocken sind, fingen sie verständlicherweise an, die Regeln und ihren Urheber zu hassen. Hätten sie mich herrschen lassen und meine Vision für Alsuna geteilt, dann hätten die Regeln der Ordnung gedient. Jetzt führen sie zur Starre.«
    »Du machst es dir sehr leicht, Thanos. Ich meine: Du behauptest, den Menschen würde es gut gehen, wenn sie dich wieder über sich herrschen ließen. Wenn sie aber unabhängig sein wollen, zerstören sie sich selbst. Glaubst du das wirklich oder machst du dir das vor?«
    Thanos stellte den Becher ab und wischte sich den Mund. »Donnerwetter. Das hat sich schon lange keiner mehr getraut. Diese Ehrlichkeit. Ich danke dir dafür.« Er ließ den Diener hereinkommen und die Süßspeisen auftragen. Dabei empfahl er Levin dringend, das Pflaumenkompott mit Sahne zu probieren. Schmatzend sagte er: »Nun gut. Lass uns darüber sprechen, wer es sich hier leicht macht. Du sprachst von Unabhängigkeit. Ist es nicht naiv zu glauben, man könne völlig unregiert sein? Gib es zu: Es gibt immer etwas oder jemand, der dich bestimmt. Wenn es keinen offensichtlichen Herrscher gibt, dann herrscht derjenige, der am meisten Einfluss hat – wegen seines Geldes, wegen seines Charismas, wegen seiner Schlauheit. Er herrscht und keiner merkt es, eine Herrschaft aus dem Schatten sozusagen. Ist das nicht viel willkürlicher und gefährlicher?«
    »In Alsuna gibt es einen Senat.«
    »Einen Senat, den ich vor Generationen ins Leben gerufen habe. Darüber staunst du, nicht wahr? Es war mein erklärter Wunsch, die Regierung der Stadt mit den Bürgern zu teilen. Sie sollten ihre Gedanken und Vorstellungen einbringen und mit mir gemeinsam die Vision weiterentwickeln. Das Problem ist nicht, dass es einen Senat gibt. Das Problem ist, dass seine Mitglieder aufgehört haben, an eine gemeinsame Bestimmung für die Stadt zu glauben. Und so hat jeder angefangen, für seine eigenen kurzfristigen Ziele zu leben. Heute ist der Senat nur noch darum bemüht, die vielen unterschiedlichen und oft widersprüchlichen Interessen zu ordnen.«
    »Du gehst hart ins Gericht mit dem Senat. Ist die Stadt nicht eher wie ein Sohn, der erwachsen geworden ist und nun seine eigenen Wege geht?«
    Thanos widmete sich demonstrativ seinem Nachtisch. Der Vergleich ging ihm sichtlich nahe. Hoffentlich habe ich ihn nicht gegen mich aufgebracht , sagte sich Levin und aß von dem Kompott.
    Das Schweigen dauerte unangenehm lange. Sie hörten einander kauen und schlucken, jeder schien darauf zu warten, dass der andere weitersprach. Schließlich begann Thanos: »Linus, du magst in vielem recht haben. Ich wünschte, ich könnte dir genauer erklären, wie ich die Dinge sehe. Vielleicht würde dann manches bei dir anders ankommen. Aber du sollst wissen, dass ich es genieße, dich bei mir zu haben.«
    »Danke, das … ist mir eine Ehre«, sagte Levin verschämt und unsicher, wie man auf so etwas antwortete.
    »Willst du mir sagen, was deiner Frau fehlt? Ihr Name ist doch Elena. Ich kannte auch eine Elena.«
    »Sie ist unendlich müde, hat Schweißausbrüche und atmet schwer. Sie sagt, das käme seit einiger Zeit gelegentlich vor. Es sei nichts Schlimmes.«
    »Treten die Adern an der Schläfe hervor?« Thanos hatte aufgehört zu kauen.
    »Ein bisschen, ja.«
    Es wurde still. Thanos schaute ihn auf einmal mitleidig an und schluckte.
    »Vermutest du etwa …?«
    »Ja, es ist möglich«, sagte er, um Nüchternheit bemüht. »Zumindest sprechen die Anzeichen dafür.«
    Levin kämpfte mit den Tränen. »Und wie kann man das feststellen?«
    »Nicht sofort. Es ist wohl nur ein Anfall, der schon wieder vorbei sein dürfte. Erst wenn die Krankheit zunimmt, werden die Zeichen deutlicher.«
    In Gedanken malte Levin sich aus, was passierte, wenn die Vermutung stimmte. Vielleicht würde er zum ersten Mal seit vielen Jahren um einen Menschen trauern; ein Gefühl, das er nicht kannte. Nein, wieso sollte das geschehen? Er würde bald verschwinden und Elena nie wiedersehen.
    Er merkte, wie er die Kontrolle über seine Gedanken verlor und seine Strategien für diesen Abend vollends vergaß. Nervös um Konzentration ringend schaute er im Raum umher, versuchte, beängstigende Vorstellungen zu vertreiben und richtete schließlich einen

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