Der Schattensucher (German Edition)
begann er seinen eigenen Gedanken zu misstrauen. Nicht das erste Mal verlor er die Orientierung.
Hörte er nun die Wahrheit oder wurde er mehr und mehr von der Willenskraft dieses Mannes aufgesogen? Wo war der selbstsichere Levin, der dem anderen immer einen Schritt voraus war, der kühl über die Dinge hinwegsehen konnte?
Aber nein, es war sein Weg. Wenn er den alten Levin zurückhaben wollte, musste er an Thanos vorbei. Und bislang war der direkte, offene Weg der erfolgreichste gewesen. Jetzt war seine Gelegenheit.
»Du sprachst von Hoffnung für Elena. Was meintest du damit?«
»Damit meinte ich, dass ich noch nicht aufgegeben habe, nach dem rettenden Heilmittel zu suchen. Sollte wieder ein Anfall kommen, dann schick sie zu mir. Ich kann ihr ein Mittel geben, das ihr die Schmerzen nimmt und den Tod vorerst vertreibt.«
»Das würde ich gern tun, Thanos. Aber ich habe ein Problem.« Levin nahm jetzt allen Mut zusammen, der in ihm steckte, und sah Thanos in die Augen. »Ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann.«
Thanos erwiderte den Blick. Ganz ruhig und ernst waren seine Augen. Keine Regung zeigte sich auf seinem Gesicht.
»Wie soll ich es sagen? Du redest und erzählst und alles klingt einleuchtend. Aber jedes Mal habe ich das Gefühl, es gäbe immer noch ein tieferes Geheimnis, das alles andere als Lüge entlarvt.«
»Du denkst also, ich täusche dich.«
Sofort wurde sich Levin über das verbotene Wort bewusst, das Thanos benutzt hatte. Bahnte sich ein neuer Wutausbruch an? Doch jetzt konnte er nicht mehr zurück.
»Ich befürchte es manchmal, ja.«
»Und wo vermutest du noch ein finsteres Geheimnis?«
»Ich … du fragst mich so direkt. Also will ich dir antworten. Ich habe erfahren, dass hin und wieder Leute in dein Gemach kommen, die nicht hier auf Briangard zu Hause sind. Aber als Palastwächter habe ich festgestellt, dass sie nicht auf normalem Weg hereingekommen sein können. Du kannst dir vorstellen, dass mich so etwas misstrauisch macht. Ich meine: Ich bin der Hauptmann deiner Palastwache und du empfängst Menschen, von denen ich nichts weiß.«
Thanos fing an zu lächeln. »Also das meinst du.« Er lächelte noch mehr. »Und deshalb glaubst du mir nicht trauen zu können.« Jetzt verwandelte sich das Lächeln in ein Kopfschütteln. »Mein lieber Linus, ich habe die Befürchtung, dass du vieles noch nicht verstanden hast. Dabei habe ich dir doch gesagt, dass die wichtigsten Dinge die offensichtlichsten sind.«
»Und dennoch verschweigst du mir etwas.«
»Also schön. Ich will dich nicht länger quälen, auch wenn ich normalerweise gewartet hätte, bis du mir wirklich vertraust. Ich möchte, dass du diese Leute kennenlernst, wenn sie wiederkommen. Sie werden dir eine Menge interessanter Dinge erzählen. Danach wirst du hoffentlich frei von deinen Zweifeln sein.«
»Sind das nicht Dinge, die du mir selbst erzählen könntest?«
»Ich habe dich soeben zu etwas Besonderem eingeladen und das solltest du wertschätzen.«
»Und wie kommen diese Leute nun in den Palast?«
»Du fragst mich etwas sehr Wichtiges, Linus. Nur wenige wissen darüber Bescheid.«
»Ich bin der Hauptmann. Und ich werde es ja doch erfahren.«
»Du wirst also kommen?«
»Selbstverständlich werde ich kommen.«
»Und du bist dir bewusst, welches Wissen du mit dir tragen wirst?«
»Ich denke doch.«
»Dann komm in einer Woche in diesen Raum.« In einer Woche. Mist. Das wäre zu spät.
»Also gibt es einen direkten Weg von draußen ins Labor«, bohrte er weiter nach.
»So ist es.«
»Und wo ist die geheime Tür?«
»Meine Güte, du scheinst wirklich nichts verstanden zu haben. Hier gibt es keine geheime Tür. Der Zugang ist völlig offen.«
»Ich sehe nichts.«
»Weil du geblendet bist. Du glaubst noch immer, dass Dunkelheit und Schatten das beste Versteck sind. Du verachtest das Licht, obwohl es den größten Schutz bietet.«
Levin blickte um sich. Zuerst wollte ihn die Wut über die Andeutungen des Grafen überwältigen. Dann hielt er auf einmal inne, blinzelte zweimal, fasste es nicht und machte einen Schritt nach vorn.
»Ich glaube, du kommst der Sache näher«, sagte Thanos lächelnd.
Levin ging weiter, schärfte seinen Blick und konnte endlich etwas erkennen. Es war so einfach.
Er hatte den Geheimgang gefunden.
34. Kapitel
Drei Tage lang war Levin wie apathisch. Wenn er allein war, ging er in seinem Haus auf und ab. Immerzu schaute er aus dem Fenster in den Hof hinaus, beobachtete die Menschen bei
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