Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
Dennoch setzte sie der Kristallkugel nach, die fünf Stufen tiefer zum Stehen gekommen war. Doch in ihrer Hast rutschte ihr rechter Fuß ab, sie stolperte, fiel die Treppe hinab. Sie schrie auf, als eine Stufe ihr in den Rücken schlug. Staub rieselte in ihren offenen Mund. Irgendwo, weit unter sich, hörte sie das Bersten eines Turms aus Glas. Sie schüttelte den Kopf, versuchte, wieder klar denken zu können, doch alles, was es brachte, war Schmerz. Die Kugel lag zwei Stufen über ihr, ein unschuldiges Kleinod, ohne einen Sprung oder Kratzer. Wenn sie die Hand ausstreckte, konnte sie sie erreichen –!
Da sah sie bereits die Baronin über sich aufragen, ihr Haar und der Mantel grau vor Staub, ihr schönes Gesicht von Wut verzerrt. Ein Messer lag in ihrer Hand. Kriss versuchte auf die Beine zu kommen, vergeblich. Die Baronin holte aus –
Und kreischte auf, als ihr jemand den Arm auf dem Rücken verdrehte.
Lian, bleich wie der Tod, hatte die Frau gepackt und zwang ihr das Messer aus der Hand, bevor er sie mit einem Tritt die Treppe hinabstieß. Sie rollte fünf, sechs Stufen hinab und blieb dort liegen.
Kriss griff nach der Kugel – und schlug sie gegen Stein, bis das Gerät in Scherben und verbogenem Messing lag und das Ælon sich verflüchtigte. Sie sah auf.
»Lian«, murmelte sie mit schweren Lippen. »Bist du –?«
»Schon vorbei.« Er reichte ihr die Hand, zog sie auf die Beine. Sie hielten einander fest.
»Ich dachte, sie bringt dich um!«
»Hätt’ sie nich’«, sagte Lian ernst. Er strich ihr das Haar aus dem Gesicht, betrachtete das Blut an seinen Fingern. Kriss tastete nach der Platzwunde an ihrem Hinterkopf, sah, wie Lians Augen vor Zorn funkelten.
»Ihr könnt diese Insel nicht verlassen!«, hörten sie die Baronin sagen.
Kriss und Lian drehten sich zu ihr um. Die Frau kam unter ihnen wieder auf die Beine, unsicher wie ein neugeborener Stelzer. Blut lief über ihre Stirn.
»Kommt zur Vernunft«, sagte Kriss wieder. »Bitte!«
Die Baronin wollte etwas antworten, doch was immer es war, es ging im Lärm unter, als der Palast ein weiteres Mal erschüttert wurde. Eine ælonische Lampe zersprang und tauchte diesen Teil des Treppenhauses ins Halbdunkel. Ein Steinklotz löste sich von der Decke. Kriss und Lian wichen im letzten Moment zurück.
Kriss fuhr es eiskalt den Rücken hinab, als sie die Baronin schreien hörte. Durch den Staubnebel sahen sie die Frau auf der Treppe liegen. Ihr rechter Fuß war unter dem Stein begraben.
»Helft mir!« Die Baronin streckte die Hand nach Kriss und Lian aus. »Mein Bein!«
Weitere Teile des Mauerwerks lösten sich und krachten rings um sie zu Boden. Die Insel starb.
»Bitte!«, flehte die Baronin. Mitleid zerdrückte Kriss das Herz. Noch bevor sie sich rühren konnte, lief Lian auf die Baronin zu, die Arme schützend über den Kopf gehoben. Er beugte sich zu ihr und strengte sich an, sie von dem Steinklotz zu befreien.
Kriss sah die Baronin gerührt lächeln. Sie musste wissen, dass sie Lians Hilfe nicht verdient hatte.
Dann brach die Treppe unter ihr zusammen. Die Baronin stürzte hinab und verschwand unter Schutt und Staub. Kriss wusste, dass ihr letzter Schrei sie noch lange Zeit verfolgen würde. Sie sah Lian um seine Balance kämpfen. Sie sprang vor und griff seine Hand, zog ihn von dem Loch zurück.
Sie rannten die Treppe hinauf, Steine schlugen ihnen gegen Rücken und Schultern, doch sie ignorierten den Schmerz und liefen weiter, immer weiter, bis sie das Treppenhaus hinter sich gebracht hatten.
Möbel waren umgefallen und unter Teilen der Decke begraben. Kristallleuchter verteilten sich in schillernden Splittern auf dem Boden. Sie hatten das Foyer fast erreicht!
»Die Matrosen auf der Morgenstern !«, rief Kriss. »Wir können sie nicht mit der Insel untergehen lassen!«
Lian nickte. »Aber was machen wir dann? Wie kommen wir von hier weg?«
»Die Kompassnadel !« Kriss erinnerte sich an die Worte der Baronin: » Wir hatten die Insel aus dem Westen angeflogen ...«
»Und wenn sie uns nicht an Bord lassen?«
»Dann bleiben uns noch ... die Fluggeräte am Lufthafen!«, keuchte Kriss.
Sie durchquerten das Foyer, während hinter ihnen ein Teil der Decke zusammenbrach. Durch das gesprengte Eingangsportal sahen sie das Schiff des Generals. Die Morgenstern hatte sich nicht vom Fleck gerührt.
Die letzten Graujacken dagegen schon.
»Hände hoch!«, brüllte eine von ihnen und drohte mit einer Pistole.
Nur zehn Männer und Frauen bauten
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