Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
ihrerseits.
»Was hat der Kerl gesagt?«, fragte Lian.
Der Bibliothekar lächelte mit großen, weißen Zähnen. »Ich war so frei, Euch und die junge Dame willkommen zu heißen und habe gefragt, wie ich Euch weiterhelfen kann«, sagte er auf Feban. Er hatte einen melodischen Akzent mit weich gerollten Rs.
Kriss schmunzelte über Lians Gesichtsausdruck. »Wir sind auf der Suche nach einem Buch.«
Der Bibliothekar lächelte. »Dies hatte ich angenommen. Der Titel?«
»›Eine mannigfaltige Auswahl exotischer und ganz und gar unglaublicher Flora und Fauna aus allen Teilen dieser Welt, aufgezeichnet und festgehalten von Ramaro Tolmen, Abenteurer, Naturforscher, Philosoph und Kapitän mehrerer Schiffe.‹ Wahrscheinlich ist es aber unter dem dorakischen Originaltitel gelistet.« Sie nannte ihn diesen und der Bibliothekar überlegte angestrengt. »Ich bedaure, dieses Buch ist mir nicht geläufig, unter keinem der beiden Titel. Aber ich werde unsere Bestandskataloge zu Rate ziehen. Wenn Ihr so freundlich wärt mir zu folgen, werte Gäste?«
Er schritt ihnen voran durch eine bogenförmige Tür. Kriss war bereit, ihm überallhin zu folgen, solange er nur weiter mit seinem wunderbaren Akzent sprach.
»Dass du dir diesen dämlichen Titel merken kannst«, sagte Lian mit gesenkter Stimme.
»Ich hab ein ziemlich gutes Gedächtnis«, gab sie zurück.
»Haben sie dich deswegen so früh auf die Universität geschickt?«
»Ja. Ich schätze schon. Es hilft beim Lernen. Das Problem ist nur, dass man sich auch an all die Dinge erinnert, die man eigentlich lieber vergessen möchte.«
Der Bibliothekar führte sie in ein ausgedehntes Gewölbe. Auf stabilen Tischen lagen riesenhafte Bücher, jedes davon so groß wie ein Kind und mindestens zweitausend Seiten dick. Und es gab Dutzende von Tischen, wie es schien. Überall standen andere Bibliothekare, zusammen mit anderen Besuchern, und blätterten durch die Wälzer. Es war sehr still hier, wie im Inneren der Weißen Kathedrale zur Abendmesse.
Sie mussten einen Augenblick warten, bis der Katalog, den der Bibliothekar zu Rate ziehen wollte, freigegeben wurde. Angespannt sah Kriss zu, wie er durch die Seiten blätterte. Jede davon schien gut tausend Buchtitel zu führen, gefolgt von einer Stockwerk-, einer Raum-, und einer Regalnummer. An den Seitenrändern hafteten Metallklammern und ihre Spitzen zeigten auf die Buchtitel. Papierstreifen steckten an jeder dieser Klammern; Kriss ahnte, dass so verliehene Bücher markiert und deren Entleiher notiert wurden.
Sie sah, wie Lian unruhig mit dem Fuß auf dem Boden tappte. Er schien sich hier nicht wohl zu fühlen.
Der Bibliothekar hatte eine Zeit lang geblättert. Nun wandte er sich wieder an die beiden Besucher. »Ich freue mich, Euch mitteilen zu können, dass wir das genannte Buch unser Eigen nennen ...«
»Großartig!« Vor Aufregung fühlte sich Kriss wie luftkrank. »Wo können wir es finden?«
»... doch leider seid Ihr nicht die einzigen, die sich dafür interessieren. Es wurde bereits ausgeliehen.«
Kriss sah Lian an. Sie erkannte, dass er dasselbe dachte wie sie: Der maskierte Einbrecher!
»Aber der Entleiher befindet sich doch bestimmt hier im Haus?«
»In der Tat, junge Dame. Doch ich fürchte, er wird das Buch vorerst nicht mit Euch teilen.«
»Wo können wir ihn finden?«
Der Bibliothekar schrieb ihnen die Nummern, die sie brauchten, auf ein Papier und überreichte es Kriss. »Ich wünsche Euch viel Glück«, sagte er.
Als sie das Kataloggewölbe verließen, sah Kriss, wie sich Lian immer wieder misstrauisch über die Schulter umschaute. »Was ist?«
»Der war mir’n bisschen zu freundlich.«
»Zuvorkommend zu sein gehört nun mal zu seinen Aufgaben. Außerdem sind Menschen manchmal von Natur aus nett.«
Lian schien nicht überzeugt. »Wenn dich einer anlächelt, dann frag dich immer, was er davon hat. Keiner tut irgendwas ohne Grund. Und keiner is’, was er scheint.«
Sie sah ihn amüsiert an. »Dir ist klar, dass dich das mit einschließt?«
Er antwortete ihr nicht.
Sie ließen zügig die Eingangshalle hinter sich und betraten die wirkliche, echte, wahre Bibliothek.
Es gab kaum eine Wand, die nicht mit Regalen bestückt war, und jedes Regal barst fast vor Büchern. Große Bücher, kleine Bücher, dicke Bücher, dünne Bücher; Bücher mit Einbänden aus Leder, Einbänden aus Seide, aus Metall, aus Horn, aus lackiertem Holz, sogar aus Kork oder mit Perlmutt besetzt. Aus manchen davon ragten Lesezeichen
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