Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
Mittelfinger und kreuzte sie. Kriss nickte verstehend. Und klopfte an.
» Saruh? «, schnarrte eine Männerstimme auf gebrochenem Ramakhanisch aus dem Inneren. Ja bitte?
Kriss öffnete die Tür. Sie und Lian traten in ein gemütliches Zimmer mit einem roten Diwan in einer Ecke und gleichfarbigen Sitzkissen in einer anderen. Weiße Arabesken bedeckten die Wände. Durch ein offenes Fenster waren die entfernten Rufe der Marktschreier zu hören.
Ein junger Mann saß an einem großen Tisch aus Bernsteinholz und steckte eine Schreibfeder in ein Tintenglas. Links und rechts von ihm türmten sich Bücher; bis eben hatte er anscheinend in ein Notizbuch geschrieben, das er nun zuschlug, als dürfe niemand es sehen. Sein Blick war giftgrün, sein Gesicht hell, fast weiß geschminkt und die Wangen mit Rouge hervorgehoben. Er trug eine hüftlange Perücke aus schwarz gefärbtem Stelzerhaar; seine Kleidung bestand aus goldener Seide. Genau wie sie war er offensichtlich ein Fremder in diesem Land und seine geckenhafte Aufmachung und der harte Akzent, mit dem er gesprochen hatte, verriet Kriss, dass er aus Parandir stammte. Ausgerechnet.
»Verzeiht die Störung«, sagte sie auf Feban und machte einen Knicks. Lian nickte dem Mann nur zu. Seine Finger waren nicht gekreuzt. Aber sein Ausdruck war misstrauisch.
»Was ist?«, fragte der Parandirer. »Ich bin beschäftigt.«
»Wir werden nicht viel von Eurer Zeit in Anspruch nehmen«, versprach Kriss. Ihr Herz machte einen Satz – eins der Bücher, das las sie am Einband, war Tolmens Bestiarium, eingeklemmt zwischen einem Buch mit ramakhanischen Märchen und einer Sammlung prä-ælonischer Sagen. Verfasste er eine Arbeit zu dem Thema? Vielleicht konnte sie von Gelehrter zu Gelehrtem mit ihm sprechen! »Ähm, mein Name ist Krisstenja Tilena Odwin, Dozentin für Archäologie und Frühe Geschichte an der Universität von Tamalea und dies ist mein ... Assistent, Lian Berris.« Ihr »Assistent« reagierte mit fragend hochgezogener Augenbraue.
Der Parandirer sah erst Kriss an, dann Lian, dann wieder Kriss. »Ich habe keine Zeit für diesen Unsinn«, sagte er, fasste nach dem Federkiel und schlug sein Buch wieder auf. Er bemerkte missmutig, dass man ihn immer noch nicht alleine ließ. »Ich sagte, ich habe keine Zeit für dumme Kinderstreiche!«
»Bitte, mein Herr, dies ist kein Streich!« Kriss hasste es, wenn man sie für ein Kind hielt. Dabei war ihr Gegenüber keine fünf Jahre älter als sie, sofern man das durch all die Schminke erkennen konnte. »Wir interessieren uns für eines der Bücher, die Ihr ausgeliehen habt. Wir wollten fragen, ob es möglich ist, dass wir es uns kurz ansehen?«
Wieder landete die Feder im Tintenglas. Der Parandirer lehnte sich zurück. Sein bemalter Mund zeigte ein listiges Lächeln. »Dem Akzent nach seid ihr beide Milorianer, nicht?«
»Ja. Und auch wenn unsere Länder verfeindet sind, hoffe ich, dass wir dies vergessen und als Vertreter der Wissenschaft miteinander sprechen können!«
»Ah so. Und wofür braucht ihr das Buch, hm?«
Sein Blick gefiel Kriss ganz und gar nicht. Trotz des offenen Fensters konnte sie sein schweres Parfüm bis hierher riechen. »Es beinhaltet einen Hinweis für eine sehr wichtige Expedition nach ...«, Lian trat ihr auf den Fuß, »Au! Äh, ich meine, an einen Ort, über den ich nicht sprechen darf.«
»Verstehe.« Der Parandirer faltete die beringten Hände. Er spielt nur mit uns , dachte Kriss. Oder doch nicht? Bei Parandirern der Oberschicht war das immer schwer zu sagen. Sie waren alle so unecht . Und dieser hier stammte seiner Kleidung nach aus der obersten Oberschicht. »Das heißt, ohne das Buch kann eure kleine ... Expedition nicht stattfinden, ja?«
»So ist es!«
»Aha. Nun in diesem Fall, lautet meine Antwort ...«, er öffnete eine Dose mit Schnupfpuder, nahm etwas davon mit spitzen Fingern und zog eine Brise in das rechte, dann das linke Nasenloch, »... nein.«
»Bitte! Wir möchten doch nur einen kurzen Blick –!«
»Nein.«
»Aber es geht um eine dringende Angelegen –!«
»Nein.«
»Und wenn wir –?«
»Nein.« Er grinste ungeniert und schniefte noch eine Prise Puder. »Guten Tag.«
»Das ist nicht fair!«, sagte Kriss.
»Nicht fair ? Was wisst ihr kulturlosen Milorianer von Fairness? Vielleicht seht ihr jetzt ein, dass ihr nicht die Herren der Welt seid.« Er nahm einen Schluck aus einem Weinkelch neben dem rechten Bücherstapel, offenbar sehr zufrieden mit sich selbst. »Es wird
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