Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
entdeckte einen alten, mit Samt bezogenen Stuhl und schob ihn zu Lian. Dieser verkantete das Möbel unter den Türgriffen und sah Kriss an. »Wohin?«
»Da lang!«, rief sie und zeigte nach rechts. Lian rannte los und Kriss ihm nach, völlig außer Atem, mit rasendem Puls. Sie hörten, wie an der Tür hinter ihnen gerüttelt wurde. Schwere Körper warfen sich dagegen.
Umi bildete die Vorhut; eine Wache, eine Frau mit pockennarbigem Gesicht, tauchte plötzlich aus einem Nebenraum auf. »Was ist hier –?« Noch bevor Kriss und Lian anhalten mussten, ging sie ächzend zu Boden.
Kriss schluckte. Umi war so schnell gewesen, dass sie ihn kaum gesehen hatte. Sie sprangen über die bewusstlose Frau hinweg. Am Ende der Halle konnten sie bereits eine Flügeltür sehen: » Prä-kiradianische Epoche « stand auf einem Messingschild darüber. Sie war nicht verschlossen.
Gerade, als sie hinter der Tür verschwanden, ertönte ein Scheppern in der Halle hinter ihnen. Die Wachen stürmten das Stockwerk!
»Umi!«, keuchte Kriss. »Flieg los und lock sie irgendwo anders hin! Schaffst du das?«
Der Vogel pfiff bestätigend. »Viel Glück!«, flüsterte sie, als er durch den Türspalt verschwand, den Lian ihm offenhielt.
» Da vorne! «
» Fangt das Vieh! «
Schritte wurden laut – und entfernten sich wieder, doch ohne dass Kriss sich erleichtert fühlte. Sie wusste, wie flink Umi war. Aber es klang, als sei nun ein halbes Dutzend Wachen hinter ihm her. Würde er sie alle austricksen können?
»Er kriegt das schon hin«, sagte Lian, als habe er ihre Gedanken gelesen. »Sag mir lieber, ob wir hier richtig sind!«
Kriss blickte sich um. Sie befanden sich in einer weiteren Halle, schmaler und länger als jene, die sie eben verlassen hatten. Auch hier gab es abgedeckte Ausstellungsstücke und Bilder an den Wänden, sowie zurückgelassene Malerausrüstung. Sie erschrak, als sie den Mann sah, der sich unter einem Laken versteckte, keine fünf Schritte von ihnen entfernt. Aber es war kein Mensch, wie sie erkannte, als Lian den Stoff wegzog, sondern eine Statue aus Granit. Die Statue einer Frau. » Fürstin Parella die Liebreizende (3002-3089) « stand auf einer Plakette.
»Das ist die falsche!« Langsam kam Kriss wieder zu Atem, aber die Seitenstiche blieben. »Dahinten ist noch eine!«
Das nächste Laken enthüllte das marmorne Standbild eines Eislöwen im Sprung. In der dürftigen Beleuchtung wirkte das Tier erschreckend lebendig.
»Was ist mit dem Ding da drüben?« Lian lief Kriss voran ans Ende der Halle, wo sich ein zwei Klafter großes Gebilde unter einem weiteren Laken versteckte. Als die Stoffmassen gefallen waren, blickte ein junger Mann in fantastischer Rüstung auf sie herab. Ganz aus schimmernder Bronze gegossen, stand er auf einem sternförmigen Sockel mit acht Zacken, sein Schwert erhoben, als wollte er eine Armee in die Schlacht führen. Der vorderste Zacken war länger als die anderen, eine Inschrift war darauf zu erkennen. » Ollon Monda «, stand dort, als wären weitere Erklärungen unnötig.
»Er ist es!«, rief Kriss. Gaslicht fing sich in den Bronzeaugen des Kriegers. Seinem Blick folgend drehte sie sich um und fand ...
Nichts. Keine zwei Schwerter, nur eine leere, frisch gestrichene Wand. Sie wandte sich wieder der Statue zu, verfolgte erneut deren Blickrichtung, mit dem gleichen Ergebnis. Ollon Monda, der letzte Krieger, starrte auf eine weiße Wand.
»Das kann nicht sein! ›Der letzte Krieger sieht durch zwei Schwerter‹! Es muss hier irgendetwas geben!«
Lian begann die Wand abzuklopfen. »Massiv.« Die Hände in die Hüften gestemmt, sah er nach oben. »Ich brauch ’ne Leiter, um an den Rest ranzukommen!«
Gemeinsam schoben sie eines der Malergerüste vor die Wand. Lian legte den erbeuteten Säbel ab und kraxelte die Holzkonstruktion hinauf. Während er den oberen Teil der Wand untersuchte, schlug Kriss das Herz bis zum Hals. »Nichts!«, sagte Lian.
Kriss’ Gedanken rasten. »Vielleicht haben die Maler es übergestrichen! Vielleicht gab es dort vorher ein Wandgemälde, etwas in der Art!«
»Oder das is’ die falsche Statue. Schessk. « Lian setzte sich auf das Gerüst. »Gib mir mal den Säbel! Ich versuch’, die Farbe abzukratzen!«
Kriss ging in die Hocke und reichte ihm die Waffe. Sie hörte das Schaben der Klinge auf der Wand. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Umi zurück. Ging es ihm gut? Hatten sich die Wachen von ihm täuschen lassen? Sie hatte das entsetzliche Gefühl,
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