Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
ihre Hand; sie sprangen von der Tribüne und tauchten in der Masse unter. Noch bevor der erste Soldat den gestürzten Flieger erreichte, waren sie verschwunden.
»Er hat ihn einfach erschossen, Lian!«, rief Kriss, als sie zur Westpromenade liefen.
»Ich weiß«, gab er zurück, ohne sich umzudrehen. »Ich freu mich auch nich’ drüber. Aber er war ’ne Maschine, Kriss, kein Mensch!«
Ja, das wusste sie. Aber es wurde dadurch nicht leichter. Umi war vom ersten Tag der Expedition an bei ihnen gewesen. Er hatte ihnen geholfen, Ruhndors Leuten zu entkommen und gegen die Mörderechse zu bestehen; er hatte sie getröstet, wenn sie Zweifel hatte. Sich mit ihr gefreut. Kriss konnte sich nicht vorstellen, wie der Rest der Reise ohne ihn werden würden.
Bürger hatten ihnen den Weg zur Promenade beschrieben. Kriss und Lian hatten die schwarze Kleidung, Schutzbrillen und Gürteltaschen mit ihrem Diebeswerkzeug in einer Seitenstraße zurückgelassen. Darunter trugen sie ihre gewöhnliche, weniger auffällige Kleidung. (Auch wenn auf dem Fest der Farben jeder aus der Menge stach, der nicht maskiert war.)
Die Soldaten hatten sie abhängen können. Lian hatte vorgeschlagen zum Schiff zurückzukehren, aber Kriss hatte darauf gedrängt, erst den früheren Standort der Statue aufzusuchen, falls Soldaten und Gendarme ihnen später keine Gelegenheit mehr dazu gaben, in die Stadt zurückzukehren.
Die Promenade über den Kais war weitgehend verlassen. Von den wenigen Menschen, die es um diese Zeit hierher verschlagen hatte, schienen die meisten Liebespaare zu sein, die Hand in Hand über das mit Goldmöwendreck gesprenkelte Pflaster schlenderten. Das Feuerwerk hatte merklich an Kraft abgenommen; bald würde es ganz erlöschen.
Kriss und Lian fanden ihr Ziel ohne Probleme: einen größeren Platz mit einer breiten Balustrade an der dem Meer zugewandten Seite. Erwartungsgemäß war er völlig verlassen. Doch im Laternenlicht erkannte man selbst von weitem den Punkt, an dem früher Ollon Mondas Standbild aufgebaut gewesen war, ein achtfach gezackter Stern, heller als das Pflaster ringsum.
Lian stellte sich darauf und ließ den Blick kreisen. »Schön und gut, aber woher wissen wir jetzt, wohin er geguckt hat?«
Kriss zog ihre Skizze der Statue aus der Hosentasche. »Ein Zacken des Sockels war länger als die anderen. Er hat in die gleiche Richtung gezeigt, wie sein Blick. Hier!« Sie deutete auf die Stelle im Pflaster. Lian kniff ein Auge zusammen und richtete den Zeigefinger auf die Spitze des verlängerten Zackens, dann hob er ihn zum Horizont. Ein breites Grinsen erschien in seinem Gesicht. »Ich seh’ was, das du nich’ siehst!«
Kriss stellte sich direkt neben ihn – so dicht, dass sie seine Haut riechen konnte – und folgte seiner Deutung.
Dort draußen, weit vor der Küste, beschien das doppelte Mondlicht graue Klippen, die sich aus dem Wasser erhoben. Es mochten gut ein Dutzend sein; keiner der Felsen ragte höher als ein Klafter über die Wellen.
Bis auf zwei, die sich wie lange Dornen den Sternen entgegenspitzten. Dornen – oder Schwerter!
Es kam einfach über sie. Kriss schlang die Arme um Lian – und küsste ihn auf die Wange. Er beschwerte sich nicht darüber. »Jetzt fehlt nur noch ein Hinweis!«, jubelte sie. Für einen Moment konnte sie sogar vergessen, was mit Umi geschehen war. »Wir haben es fast geschafft, Lian!«
»Hab’ nie dran gezweifelt«, erklärte er lächelnd.
Kriss musste sich dazu zwingen, ruhig zu bleiben. Sie zog den Kompass aus der Gürteltasche, hielt ihn vor sich und sah direkt zwischen die beiden Klippen hindurch. »Richtung Nord-Nordwest!«, meldete sie.
»Äh, Kriss«, sagte Lian hinter ihr.
Sie ließ den Kompass immer noch nicht sinken. »Jetzt brauchen wir nur noch eine Landkarte und ziehen dann eine Linie von hier bis –!«
»Kriss«, wiederholte Lian, seltsam tonlos.
»Was –?« Sie drehte sich um. »Oh«, sagte sie, als sie erkannte, was er ihr hatte sagen wollen.
Soldaten kamen von allen Seiten. Eine halbe Armee richtete ihre Musketen auf Lian und Kriss.
»Im Namen von Fürstin Jellisande«, rief ein Hauptmann, »steht Ihr hiermit unter Arrest! Nehmt die Hände hoch und ergebt Euch! Widerstand ist zwecklos!«
Futter für die Lavawürmer
»Was?«, rief Kriss aus. »W-Wieso? Wie lautet die Anklage?« Der Einbruch! Sie wissen davon!
»Ihr werdet mit uns kommen«, sagte der Hauptmann.
»Und ich will wissen, wieso!«
Er gab keine Antwort. Auf einen Wink von
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