Der Schatz des Blutes
erhob und auf die Mitte des langen, schmalen Gemachs zutrat.
»Komm her und sieh dir das an«, sagte er und winkte Montbard mit dem Finger. Dieser erhob sich und folgte ihm zu einer Stelle, an der ein Loch in den Boden gegraben worden war. Es war ein breites, flaches Loch, das kaum drei Finger tief war. Sein Boden war von Erde und Staub befreit; hier war der nackte Fels zu sehen.
»Das ist der Boden, auf dem wir stehen«, sagte de Payens und hockte sich hin. Er fuhr mit einer weitschweifigen Geste über die Steinfläche. »Es ist derselbe Stein, aus dem auch das Gewölbe über unseren Köpfen besteht. Man nennt diese Erhebung nicht ohne Grund den Tempelberg. Sie ist ein Berg. Aber wenn sich unter unseren Füßen Tempelruinen befinden, wie es die Überlieferung unseres Ordens sagt, dann müssen diese Bauten einmal mit großem Aufwand angelegt worden sein – und in der Schrift ist davon nirgendwo die Rede.«
Er zuckte erneut mit den Achseln.
»Solange wir nicht mehr über das Ziel und den geeigneten Ausgangspunkt unserer Suche in Erfahrung bringen können, können wir, fürchte ich, nicht viel tun. Keiner von uns hätte Einwände dagegen, sich durch massiven Felsen zu graben, wenn es denn nötig ist. Aber solange wir nicht wissen, in welche Richtung wir unseren Tunnel graben müssen, wäre es die reine Torheit zu beginnen.«
André de Montbard blickte stirnrunzelnd in die flache Grube. Er verschränkte die Arme vor der Brust und biss sich auf die Unterlippe. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und sah sich um. Er starrte die Wände an, als könnte er durch sie hindurchsehen. Schließlich wandte er sich an de Payens und nickte, als sei er zu einem Entschluss gekommen.
»Möglicherweise habe ich eine Lösung dafür. Eines der Dokumente, die der Seneschall mir mitgegeben hat, ist eine mit großer Sorgfalt kopierte Karte aus den Archiven des Ordens. Angeblich ist es eine Karte mit dem Grundriss des Salomonstempels und des Tunnellabyrinths, das diesen umgibt.«
Er hob rasch die Hand, um etwaigen Unterbrechungen zuvorzukommen.
» Angeblich , habe ich gesagt. Es ist die originalgetreue Kopie eines antiken Dokumentes. Das Einzige, was sich mit Sicherheit sagen lässt, ist, dass es sehr alt ist. Unseren Akten nach befindet es sich seit einem Jahrtausend im Besitz des Ordens. Doch es ist noch älter, und soweit wir wissen, hat niemand seinen Inhalt je in Frage gestellt. Es ist in der hölzernen Reisetruhe, die zusammen mit meinem restlichen Gepäck in dem anderen Raum steht. Wenn ihr etwas Ähnliches hättet – einen Stadtplan des heutigen Jerusalem –, könnten wir die beiden Karten vergleichen.«
»Das ist eine gute Idee.«
De Payens schnippte mit den Fingern.
»Montdidier und Gondemare, bitte holt Sir Andrés Holztruhe her.«
Kurz darauf drängten sie sich um den Tisch und betrachteten die Karte, die darauf ausgerollt und an den Ecken mit kleinen Steinen beschwert worden war. Lange Zeit sagte niemand etwas, und sie versuchten, sich einen Reim auf das zu machen, was sie sahen, und die Linien der Zeichnung im Kopf auf die tatsächliche Landschaft ringsum zu übertragen.
Schließlich war es Archibald St. Agnan, der den Zeigefinger auf die Karte legte.
»Da«, brummte er. »Ist das nicht die Stelle, an der wir uns befinden? Da, man kann den Verlauf der Mauer sehen, die hier über den Hang verläuft. Da sind wir jetzt, in den Stallungen.«
»Hier sind aber keine Stallungen eingezeichnet, St. Agnan.«
St. Agnan würdigte den Sprecher keines Blickes.
»Nein, natürlich sind sie nicht eingezeichnet, genauso wenig wie der Königspalast oder die Al-Aksa-Moschee. Als diese Karte entstanden ist, gab es hier nur den Tempel. Die Stallungen sind erst später in der Höhle errichtet worden, nach der Zerstörung des jüngeren Tempels, wahrscheinlich sogar erst nach dem Bau der Moschee. Aber wann ist der ursprüngliche Tempel zerstört worden, und wie lange mag es her sein, dass diese Karte gezeichnet wurde, Hugh?«
De Payens zuckte mit den Achseln und sah André de Montbard an, der wiederum ironisch das Gesicht verzog und sagte: »Das kann ich nur raten … zweitausend Jahre? So lange muss es mindestens her sein. Titus hat den Herodestempel vierzig Jahre nach dem Tod Christi zerstört, und das ist elfhundert Jahre her. Diese Karte zeigt den Salomons tempel, der Jahrhunderte zuvor entstanden ist.«
»Nun, dann hoffe ich im Interesse unseres Ziels, dass du Unrecht hast, St. Agnan.«
De Payens’ Stimme war ernst, und mehr
Weitere Kostenlose Bücher