Der Schatz des Blutes
gewesen, wenn man ihn damit konfrontiert hätte, doch die Wahrheit war für den Erzbischof nicht zu übersehen.
Immer wieder hatte St. Clair in Verbindung mit seinen erotischen Träumen eine bestimmte Farbe erwähnt – violett –, und das ganze Schlafzimmer der Prinzessin war in Violetttönen gehalten. St. Clair musste in diesem Zimmer gewesen sein.
Dass der Ritter keine bewusste Erinnerung daran hatte, konnte den Patriarchen nicht beirren. Von Picquigny wusste, dass der Prinzessin der Umgang mit Opiaten und anderen Betäubungsmitteln nicht fremd war – und er hatte bereits am eigenen Leib erfahren, welch verblüffende Wirkung diese haben konnten.
Vor Jahren war er einmal vom Pferd gefallen und hatte dabei einen komplizierten Beinbruch erlitten. Ein Knochensplitter hatte sein Bein durchbohrt. Die Wunde hatte einfach nicht heilen wollen, sodass er damit rechnen musste, es durch Wundbrand zu verlieren oder gar zu sterben.
Die christlichen Ärzte am Königshof – es war noch zu Lebzeiten Baldwins I. geschehen – waren machtlos gewesen. Aus Verzweiflung hatten seine eigenen Gefolgsleute den berühmten arabischen Arzt Ibn az-Zahir aus Aleppo um Hilfe gebeten. Der Syrer hatte ihm sofort Opiate verordnet, um die Schmerzen zu lindern, und zu seinem Erstaunen waren die Höllenqualen innerhalb von Sekunden verschwunden. Und mit der Unterdrückung des Schmerzes hatte auch die Heilung begonnen.
Zwar hatten Warmunds Priesterkollegen ihre zuvorige Hilflosigkeit schnell vergessen und in ihrer Eifersucht etwas von Hexerei zu murmeln begonnen. Er hatte sie jedoch zum Schweigen gebracht, denn schon die römischen Militärärzte hatten Opiate benutzt. Sie waren seit Hunderten von Jahren als verlässliches Schmerzmittel in Gebrauch – auch wenn er sich nicht hatte vorstellen können, wie überwältigend ihre Wirkung tatsächlich war.
Er hatte sie benutzt; er hatte Gott dafür gedankt – und durch die Droge hatte er nicht nur jedes Schmerzempfinden verloren, sondern obendrein jede Erinnerung an den Schmerz. Nur die spätere Entwöhnung von der Droge, die ihn süchtig gemacht hatte, war eine Qual für sich gewesen.
Warmund wusste jetzt, dass die Tage des Fiebers, die der junge Mönch nach seiner Rückkehr durchlitten hatte, der gleiche Entzugsvorgang gewesen waren, den er selbst auch durchlebt hatte. Schon damals hatte sich ein Verdacht in ihm geregt, doch er hatte nichts davon gesagt, denn er wusste ja nicht, wer und was dahintersteckte. Stattdessen hatte er den Mönchen nur versprochen, dass ihr Bruder bald wieder zu Bewusstsein kommen würde.
Jetzt gab es keinen Zweifel mehr für den Erzbischof, dass Stephen St. Clair von der Prinzessin entführt worden war – warum auch immer – und dass man ihn während seiner Gefangenschaft unter Drogen gesetzt hatte.
Doch die brennende Frage war – was nun? Er sah keinen Sinn darin, dem jungen Ritter oder seinen Mönchsbrüdern mitzuteilen, was er nun wusste. Womöglich würde St. Clair, der manchmal ein Hitzkopf sein konnte, noch davonstürmen, um von der Prinzessin eine Erklärung zu verlangen. Und das konnte nur zu einer Katastrophe führen.
Außerdem hätte er nicht mehr hoffen können, die Hintergründe der Entführung aufzuklären, wenn er dem jungen Mann – oder sonst jemandem – davon erzählte. Er war fest überzeugt, dass Alice ein bestimmtes Ziel damit verfolgt hatte. Nun, da seine Neugier geweckt war, war Warmund von Picquigny fest entschlossen, dieses herauszufinden.
Er trat vom Fenster an seinen Schreibtisch, wo er eine Zeit lang mit den Fingern auf die Tischplatte trommelte, bevor er sich wieder erhob und in die Kapelle ging, wo St. Clair auf ihn wartete.
»Diese Träume, mein Sohn«, sagte er bei seinem Eintreten. »Ich habe darüber nachgedacht und über alles, was Ihr durchgemacht habt. Ihr sagt, Ihr erinnert Euch manchmal nach dem Aufwachen deutlich daran. Empfindet Ihr dabei Vergnügen?«
Der junge Mann war beim Erscheinen des Erzbischofs aufgestanden, und jetzt riss er entrüstet die Augen auf.
»Nein, Mylord, ich –«
»Und nehmt Ihr Euch vor, diese Träume willkommen zu heißen, wenn Ihr einschlaft?«
»Nein –«
»Das dachte ich mir, und es freut mich. Aber ich musste Euch diese Fragen stellen, denn sie dienen einem bestimmten Zweck.«
St. Clair starrte den Erzbischof mit offenem Mund und verständnislos gerunzelter Stirn an, und Warmund winkte ihm mit der Hand.
»Kommt bitte mit.«
Er führte seinen Besucher aus der Kapelle zurück in sein
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