Der Schatz des Blutes
Meister kannst du mir vertrauen und dies auch glauben. Zweifelst du daran?«
»Nein, Master Hugh.«
»Ausgezeichnet. Dann werde ich ihn heute noch aufsuchen und dafür sorgen, dass er dich so bald wie möglich empfängt. Du solltest den Rest des Tages im Gebet verbringen und warten, bis ich dich rufen lasse. Nun geh in Frieden. Erzbischof Warmund wird dir deinen Seelenfrieden zurückgeben. Wenn er wirklich den Eindruck hat, dass du besessen bist, wird er dir den Dämon austreiben. Und nun geh.«
2
W
ARMUND VON PICQUIGNY, der Erzbischof von Jerusalem, stand nachdenklich am offenen Fenster. Er strich sich mit dem Finger über die Nase und blickte geistesabwesend auf den Hof, der an seine Gemächer angrenzte. Hinter ihm in seiner Privatkapelle kniete Hugh de Payens’ jüngster Ritter allein vor dem Altar und wartete auf seine Rückkehr. Doch der Erzbischof hatte nicht vor zurückzukehren, bevor er nicht genauestens enträtselt hatte, was der junge Mann ihm erzählt hatte. Und schon jetzt stand er vor einem Problem, das möglicherweise unlösbar war.
Eines wusste er jedoch mit Gewissheit, und zwar, dass der junge St. Clair nicht von Dämonen besessen war. Verhext vielleicht – und dieser unwillkürliche Gedanken entlockte dem Erzbischof ein grimmiges Lächeln –, aber er war definitiv nicht besessen.
De Payens hatte ihn am Nachmittag des Vortags besucht, und wie immer hatte Warmund ihn mit offenen Armen willkommen geheißen. Leider hatte er nicht so rasch auf die Bitte des Ritters reagieren können, wie er es gern getan hätte, denn er hatte selbst hohen Besuch. Also hatte er seine Zusammenkunft mit Bruder Stephen bis zum folgenden Tag aufschieben müssen.
Was er dann aus dem Mund des jungen Mönchs gehört hatte, hatte ihn zwar traurig gestimmt, doch überrascht hatte es ihn nicht, bestätigte es doch den Verdacht, den er seit St. Clairs unerwarteter Rückkehr hegte. Warmund von Picquigny wusste jetzt, wer Bruder Stephen entführt hatte – was ihm allerdings nach wie vor ein Rätsel aufgab, war die Frage, warum und wozu.
Anhand der verschwommenen Details aus den Träumen des jungen Mannes hatte der Erzbischof den Königspalast als den Ort identifiziert, an dem man St. Clair festgehalten hatte. Damit gab es nur einen möglichen Entführer: Prinzessin Alice, die eigensinnige Tochter des Königs.
Doch diese Antwort hatte nur weiteres Grübeln mit sich gebracht. Denn der Bischof war zwar mit dem verruchten Wesen der Prinzessin vertraut, doch hatte sie tatsächlich nur aus purer Lust einen Menschen entführt?
Er konnte sich noch erinnern, wie er den unerfahrenen Jungen aus den Klauen der Prinzessin befreit hatte. Und er wusste ebenso gut, wie wütend sie über seine Einmischung gewesen war. Dennoch konnte er sich nicht vorstellen, dass Alice nach so langer Zeit noch solche Mühen auf sich nehmen würde, um sich einen Unschuldigen gefügig zu machen. Es ergab einfach keinen Sinn.
Aufgrund ihrer Position – und der Tatsache, dass sie eine Meisterin in der Kunst der Verführung war – konnte die Prinzessin jeden Mann haben, den sie wollte. Alice de Bourcq, das wusste er über jeden Zweifel erhaben, folgte nur ihrer eigenen Lust. Und sie hatte sich den Luxus und die exotischen Vergnügungen des östlichen Lebensstils zur Gewohnheit gemacht.
Umso verwunderlicher war es, dass sie sich aus ihrer Welt der parfümierten Freuden herablassen sollte, um einen stinkenden, verdreckten Mönch zu entführen, selbst wenn dieser ein noch so heldenhafter Krieger war. Ganz zu schweigen davon, dass sie sich mit solchem Eifer um seine sichere Rückkehr zu den Mönchen gekümmert hatte, nachdem sie ihn zunächst hatte verschwinden lassen und ihn dann sogar während der letzten Tage hatte foltern lassen.
Das war die größte Frage dieses ganzen Rätsels.
Die Alice de Bourcq, die er kannte, hätte sich absolut nichts dabei gedacht, einen Mann, der ihr im Weg war, im Stillen umbringen zu lassen. St. Clair hätte von Anfang an aus einer Vielzahl von Gründen für sie uninteressant sein sollen, so abstoßend wie eine verlauste Wüstenratte. Wenn sie ihn dennoch aus irgendeinem Grund entführt hatte, musste er ihr irgendwann im Weg gewesen sein – und sollte daher eigentlich jetzt tot sein. Und doch war er es nicht.
Der Patriarch stieß einen tiefen Seufzer aus und richtete sich auf.
Bruder Stephen, daran gab es keinen Zweifel, war in den Bann der Prinzessin geraten. Er ahnte zwar nichts davon und wäre sicherlich entsetzt
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