Der Schatz des Blutes
Eingang zu den Stallungen gewesen war, stand jetzt eine Ansammlung von Holzgebäuden, die den Sergeanten als Unterkunft dienten. Wohin de Payens blickte, überall sah er Sergeanten, doch keiner beachtete die beiden Ritter, die in der prallen Sonne saßen. Obwohl sie hier keine Möglichkeit hatten, sich in den Schatten zu setzen, konnte de Payens noch nicht daran denken, den weiten Weg zu den kühlen Stallungen hinaufzuklettern. Er würde es gleich tun, doch erst, wenn sich seine Atmung verlangsamt und die Hitze auf seiner Haut nachgelassen hatte.
Keiner der beiden sagte etwas, und de Payens stellte fest, dass sein Begleiter im Begriff war einzunicken. Er ließ das Kinn auf die Brust sinken, als sei sein Kopf zu schwer, um ihn weiter zu tragen. De Payens runzelte die Stirn, und er hatte die Hand schon ausgestreckt, um St. Clair anzustoßen, als der junge Mann auffuhr und hastig mit weit aufgerissenen Augen um sich blickte.
»Ich muss mit dir sprechen, Master Hugh, falls du Zeit dazu hast. Es ist eine Angelegenheit von großer Dringlichkeit, die ich dir schon lange vortragen möchte. Doch bis jetzt habe ich ständig eine Ausrede gefunden, es nicht zu tun.«
De Payens presste die Lippen zusammen. Er fragte sich zwar, was jetzt folgen würde, doch überrascht war er eigentlich nicht. Ihm war seit einiger Zeit bewusst, dass mit dem jüngsten seiner Brüder etwas nicht stimmte. Und die Art, wie St. Clair ihn mit »Master« anredete, sprach Bände. Zwar war Hugh tatsächlich der vom Seneschall ernannte Meister ihrer Bruderschaft, doch kaum jemand sprach ihn je mit diesem Titel an.
Irgendetwas musste dem jungen Ritter großen Kummer bereiten; so sehr, dass er seinen Ordensoberen formell um Hilfe bat. Hugh fragte sich, was es wohl sein mochte, denn schließlich war er weder Priester noch Beichtvater. Er war nur ein einfacher Ritter und Mönch.
Er zog die Nase hoch und wischte sich einen weiteren Schweißtropfen von der Stirn.
»Dann sollten wir nach oben gehen. Dort ist es kühler, und wir können uns in Ruhe unterhalten. Außerdem ist es eine Schande, wie faul wir hier beide in der Sonne sitzen. Möge Gott uns beide mit einem Hitzschlag strafen. Also dann, gehen wir.«
Sie erhoben sich, sammelten ihre Ausrüstung ein und stiegen zum Eingang der Stallungen hinauf. Dort angelangt, blieben sie kurz stehen, damit sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnen konnten, und traten schließlich ein.
Die Höhle hatte sich sehr verändert. Wo es beim Einzug der Ritter vor acht Jahren zwei etwa gleich große, offene Abteile unter dem geschwungenen Felsendach gegeben hatte, war jetzt nur noch eins. Der Bereich rechts des Eingangs war in ordentlich aneinandergereihte, stabile Pferdeboxen unterteilt. Darüber führte eine Treppe zu einem hölzernen Heuboden – eine beachtliche Errungenschaft in einer Gegend, in der es kaum Holz gab und abgelagertes Bauholz eine seltene Kostbarkeit war.
Doch es war der Bereich links des Eingangs, der sich am meisten verändert hatte. Wo früher ein großer Raum gewesen war, erstreckte sich nun ein Labyrinth aus nach oben offenen Zellen, deren Wände aus Steinbrocken und Mörtel bestanden. Es waren Lagerräume, die Schlafquartiere der neun Brüder – spartanische, nackte Mönchszellen –, eine geräumige Kapelle und ein Refektorium. Die Küche befand sich aus naheliegenden Gründen nicht in der Höhle, sondern draußen in einem eigens dafür gemauerten Gebäude. In der Nähe der Kapelle lag ein weiterer, größerer Raum, der mit Tischen, Stühlen und Regalen möbliert war und den Mönchen als Schreibstube und Archiv diente. Seine rückwärtige Wand war nackt bis auf eine Tür, die von schweren Filzvorhängen verdeckt wurde, um verirrte Geräusche zu dämpfen.
Dies war der einzige Eingang zu den Ausgrabungen, die inzwischen ebenfalls seit acht Jahren vonstattengingen – und das Baumaterial für die Trennwände im Inneren der Höhle und die Quartiere der Sergeanten im Freien geliefert hatten.
Die beiden Männer begaben sich in das Archiv. Außer ihnen war niemand dort, und de Payens wies dem jüngeren Mann einen Stuhl zu, während er selbst an einen Schrank trat, einen großen Krug mit Wasser und zwei Becher zum Vorschein brachte und ihnen beiden einschenkte. Erst einmal tranken sie mit Genuss. Nachdem de Payens zwei Becher geleert hatte und St. Clair seinen dritten, reckte sich de Payens und lehnte sich dann gemütlich zurück.
»Nun denn Bruder, sprich. Ich bin ganz Ohr.«
St. Clair
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