Der Schatz des Blutes
wurde. Doch es lagen Welten zwischen dir und dem jungen Mann. Daher hielt ich es für besser, so wenig wie möglich darüber zu sprechen. Außerdem wollte ich dir ersparen, dass du hättest leiden müssen, wenn Bohemond etwas zugestoßen wäre.«
»Also hast du Mama verboten, es mir zu sagen?«
»Ganz und gar nicht. Deine Mutter und ich haben gemeinsam beschlossen, dass die Verlobung das beste Arrangement war, das wir für dich treffen konnten, dass es aber nicht sinnvoll war, es dir zu Bewusstsein zu bringen, solange du noch zu jung warst, um zu verstehen, was es für dich bedeutet. Wie klug das war, ist uns klar geworden, als der junge Mann, der auf ähnliche Weise für deine Schwester Melisende bestimmt war, vor einigen Jahren auf der Jagd verunglückt ist. Sein Name würde ihr heute nicht das Geringste sagen. Hätte sie aber gewusst, dass sie mit ihm verlobt war, hätte es sie geschmerzt. Besser also, dass sie es nicht wusste, meinst du nicht?«
Obwohl ihr ein Kommentar auf der Zunge lag, fing sich Alice und neigte unterwürfig den Kopf, ganz die gehorsame Tochter. Nach einem tiefen Hofknicks fragte sie dann: »Darf ich denn jetzt mit Mama darüber sprechen?«
»Das darfst du. Doch jetzt ist es Zeit zum Essen, und wir haben heute Abend viele Gäste – acht Gesandte aus Frankreich und sechs vom italienischen Hof –, also ist es besser, wenn du bis morgen wartest. Nun geh und bereite dich darauf vor, die Aufgaben der Prinzessin von Jerusalem und Antiochien zu erfüllen.«
Alice verneigte sich erneut und verließ ihren Vater.
Sie stand auf der Schwelle einer neuen, aufregenden Erfahrung, und die Gedanken in ihrem Kopf jagten einander. Sie würde die Prinzessin von Antiochien werden und einen goldenen Prinzen heiraten, der ebenso schön wie tapfer war … und sie vielleicht nach wie vor auf den Thron von Jerusalem bringen konnte.
Natürlich war Fulk von Anjou der offizielle Nachfolger ihres Vaters, daran führte kein Weg vorbei … Es sei denn, ihm stieß etwas zu. Fulk war ein strenger, völlig humorloser Mensch, der sich andere schnell zum Feind machte – ein leichter Rivale für einen Helden mit dem Talent, die Herzen anderer für sich zu gewinnen, einen Prinzen, der davon träumte, die Grenzen seines Reiches zu erweitern.
Ihre Liebhaber würden über diese neue Entwicklung alles andere als glücklich sein. Es war sogar möglich, dass Bischof Odo unangenehm wurde. Doch bei all seiner Freude an der Intrige war Odo zudem der verletzlichste ihrer Liebhaber. Sie würde sich schon darum kümmern, dass er nicht außer Kontrolle geriet.
Noch als sich Alice an diesem Abend für das Bett fertig machte, dachte sie über die Neuigkeiten ihres Vaters nach – und über die Veränderungen in ihrem Leben, die diese nach sich ziehen würden.
Hassan, den Pferdehändler, und den Gefallen, um den sie ihn gebeten hatte, hatte sie vollständig vergessen.
3
S
T. CLAIR HÖRTE DAS KNISTERN lodernder Flammen und spürte ihre sengende Hitze in seinem Gesicht. Dann landete ein Stück Glut auf seiner Hand, und der brennende Schmerz weckte ihn vollends. Er unterdrückte einen Schmerzensschrei und wand sich fluchend mit gefesselten Gliedmaßen, um der Qual zu entrinnen.
Über ihm stand der Idiot, den er den Folterknecht nannte, und grinste schadenfroh auf ihn herunter, das rauchende Schilfbündel noch in der Hand, das er benutzt hatte, um St. Clair zu quälen. Der Ritter sah sich hastig nach den anderen um, weil er auf Rettung hoffte, doch sie waren allein, und ihm schwante Übles. Sein Peiniger musste ihn allein an den Rand des Feuers gezerrt haben, und es war wohl reines Glück, dass ihn der Rohling nicht gleich in die Flammen geworfen hatte – denn das wäre ihm leicht zuzutrauen gewesen.
St. Clair war einer kleinen Räuberbande in die Hände gefallen, deren Mitglieder zwar wussten, mit welcher Vorliebe ihr schwachsinniger Begleiter anderen Schmerzen zufügte, doch bis jetzt hatten sie ihn davor gewarnt, zu weit zu gehen. Anscheinend waren sie auf ein Lösegeld aus, und wenn sie zuließen, dass der Folterknecht ihn umbrachte, würde er nutzlos für sie sein.
Keiner von ihnen sprach eine Sprache, die St. Clair verstand. Ihre Unterhaltungen waren Kauderwelsch für ihn, rasend schnell und voller Zischlaute, ganz anders als die kehligen arabischen Zungen, die ihm vertraut waren. So war es ihm natürlich auch nicht gelungen, ihnen die Überzeugung zu nehmen, dass er als fränkischer Ritter reich sein musste – jemandem ein
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