Der Schatz des Blutes
willig und begierig, aber so fest und drahtig wie der eines Straßenkindes.
Er nickte und schluckte krampfhaft.
»Sie ist es. Ihr habt Euch schon an ihr erfreut, sie aber noch nicht gesehen. Sie hat sich an Euch erfreut und würde gern mehr von Euch sehen.«
»Sie ist so jung.« Sein Mund war so trocken, dass seine Stimme ein heiseres Flüstern war.
»Gerade vierzehn. Jünger als ich anfangs war, aber nicht weniger willig und schon viel erfahrener.«
»Woher hat sie die Erfahrung?«
»Nun, von mir natürlich.« Ihr Lachen war ein glucksender Wasserfall. »Wir sind gute Freundinnen.«
»Aber was …?« Er schluckte erneut. »Worin liegt das Risiko?«
Alices Lächeln verblasste.
»Ihr Name ist Arouna. Sie ist eine Moslemin aus guter Familie. Ihr Vater ist Fakhr ad-Kamil, zurzeit ein friedliebender und gesetzestreuer Scheich, der jedoch früher für seine Brutalität bekannt war. Sollte er Euch je ertappen oder nur den geringsten Verdacht hegen, dass Ihr seine Tochter schief angesehen haben könntet, werdet Ihr eines langen, qualvollen Todes sterben.«
Sie zuckte mit den Achseln.
»Auf der anderen Seite habt Ihr Arouna – jung, klug, schön, leidenschaftlich und verrucht. Sie würde lieber das Leben einer Fränkin leben. Aber sie weiß, dass auch sie bald gezwungen sein wird, einen Mann zu heiraten, den ihr Vater ausgewählt hat. Dann wird sie in den Harem irgendeines hakennasigen alten Kriegers eintreten, und ihr unbeschwertes Leben wird vorüber sein. Doch noch liest ihr Vater ihr jeden Wunsch von den Lippen ab und gestattet ihr, hier im Palast zu leben und ihre Zeit mit mir zu verbringen – was sie natürlich so lange wie möglich unverändert lassen möchte.«
»Und wie lange würde ich sie haben?«
»Ein Jahr, vielleicht auch zwei, dann wird sich ihr Leben ändern. Doch was könntet Ihr Euch noch wünschen? Eine geheime Geliebte, jung und gefährlich, voller Lust nach Liebe – oder auch Liebe zur Lust –, die Euch jeden Wunsch erfüllen wird. Möchtet Ihr Euch mit Ihr treffen?«
»Aye. Wann?«
»Bald. Ich werde alles arrangieren. Seid Ihr Euch ganz sicher, dass dies Euer Wunsch ist?«
»Natürlich bin ich das.«
»Trotz des Risikos, dass ihr Vater, ein barbarischer alter Schurke, Euch die Hoden abschneiden und sie vor Euren Augen verspeisen wird, während Euch seine Männer zu Tode peitschen? Wollt Ihr das riskieren, nur um Euch mit etwas Jungem zu vergnügen?«
»Aye, alles. Das wisst Ihr genau.«
»Gut.«
Alice erhob sich und klatschte nach Ishtar, dann legte sie Odo leicht die Hand auf den Arm.
»Ich lasse Euch rufen, sobald ich etwas weiß. Haltet Euch unterdessen bereit, Bruder Stephen zu befragen, wenn er zurückkehrt. Ah, Ishtar. Seine Lordschaft, der Bischof, wird jetzt gehen.«
2
A
LS STEPHEN ST. CLAIR die Mauern Jerusalems wieder erblickte, war er nicht mehr der Mann, der er gewesen war, als Hassan ihn aus der Hand der Nomaden rettete. Er war mehrere hundert Meilen gemeinsam mit dem Schiiten geritten. Und nachdem sie sich aneinander gewöhnt hatten, hatten sie sich ausgiebig miteinander unterhalten.
Er hatte so viel erfahren und gelernt; vor allem – zu seiner Überraschung und im Widerspruch zu allem, was man ihn bis jetzt gelehrt hatte –, dass die Anhänger des Islam sowohl die Christen als auch die Juden als ebenbürtig betrachteten und sie als die Völker des Einen Gottes, des Einen Buches bezeichneten. Es war nicht wichtig, dass jedes der drei Völker einen anderen Namen für das Buch hatte; was zählte, war, dass sie ein solches Buch hatten , das Zeugnis über ihre Verbindung mit dem Einen Gott ablegte. So neu ihm die Vorstellung war, dass Juden, Christen und Moslems Religionsverwandte waren, so logisch erschien sie ihm als Mitglied des Ordens der Wiedergeburt in Sion, selbst wenn sie einem gläubigen Christen des Kirchenbannes würdig erscheinen musste.
Ein Sarazenenkrieger, so hatte er herausgefunden, konnte nicht nur ein großartiger Begleiter in der Wüste sein, sondern er besaß genau jene Eigenschaften, die St. Clair bei den christlichen Rittern so vermisste – Würde, Großmut, Ehrgefühl und natürlichen Anstand. Mehr noch, seine Gespräche mit Hassan hatten ihn zu der Überzeugung geführt, dass die Krieger Allahs und Seines Propheten diese Eigenschaften für eine Selbstverständlichkeit hielten.
Sie hatten sich über die Religion selbst ausführlich auf ihrem langen Weg unterhalten. Während sich St. Clair als einfacher Christenritter gegeben hatte, hatte
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