Der Schatz des Blutes
Kirchenmänner, die darauf aus waren, ihn wegen seiner moralischen Vergehen zu verurteilen. Noch waren sie Beichtväter, die ihn zur Buße anhielten. Sie waren Ritter und Soldaten, die mit allen Menschen offen umgingen. Und sie waren seine Brüder im Orden der Wiedergeburt, die sich Sorgen um sein seelisches und geistiges Wohlergehen machten. Sie bauten darauf, dass er als Ehrenmann jede eventuelle moralische Schwierigkeit nach bestem Wissen und Gewissen bewältigen würde, ohne dem Orden zu schaden.
St. Omer hatte gerade angesetzt, ihm eine weitere Frage zu stellen, weil er offenbar nicht mit einer Antwort auf die letzte rechnete – genauso wenig wie auf alle anderen –, als St. Clair die Hand hob, um ihm Einhalt zu gebieten. Dann begann er, den beiden Männern bis ins Letzte zu erklären, was ihm zugestoßen war, angefangen mit der Entdeckung des blauen Steins. Er verschwieg lediglich die Identität der Frau aus seinem Traum, die alles ins Rollen gebracht hatte. Ansonsten verschwieg er nichts, weder seine Überzeugung, dass er jedes einzelne seiner drei Gelübde gebrochen hatte, noch die Tatsache, dass er losgeritten war, um den Tod zu finden und vielleicht seine Sünden zu tilgen, indem er zum Märtyrer wurde … noch seine Gefangennahme und seine Rettung durch Hassan, den Schiiten.
St. Omer, der nichts von St. Clairs Träumen und seiner Heimsuchung durch den Sukkubus gewusst hatte, hörte ihm mit offenem Mund und großen Augen zu – im Gegensatz zu de Payens. Auch Sir Hugh saß wortlos und gebannt da, allerdings aus anderen Gründen. Nichts von dem, was der junge Mann sagte, überraschte ihn. Er hatte mit etwas Ähnlichem gerechnet, etwas, das mit der Frau in den Träumen des jungen Mannes zusammenhing und wohl auch damit, dass er so ungewöhnlich lange in den Tunneln des Tempelbergs festgesteckt hatte. St. Clair war es ja mehr als jeder andere gewohnt gewesen, sein Leben unter freiem Himmel zu verbringen.
Nein, es war der Schiitenkrieger, der ihn faszinierte. Denn im selben Moment, als St. Clair erwähnte, dass offenbar jemand Befreundetes den Schiiten gebeten hatte, nach ihm zu suchen, hatte ihm das Gesicht der Prinzessin vor dem inneren Auge gestanden. Ihm war wieder eingefallen, dass sie ihm bei ihrer Begegnung gesagt hatte, sie würde einen moslemischen Freund um Hilfe bitten.
Ihm war zwar schon zu Ohren gekommen, dass Alice Freunde und Verbündete unter den Nomaden der Wüste hatte, doch er konnte nicht so recht glauben, dass sie trotz ihrer Jugend so weitreichende Verbindungen hatte, dass ihr Einfluss bis in die Wüstenwildnis reichte und ein Mann wie dieser Hassan – der Beschreibung nach ein Ehrfurcht gebietender Mensch – ihr zu Willen war.
Und doch ließ St. Clairs Erzählung keinen Zweifel daran, dass er irgendjemandem zu Willen gewesen war, und Hugh konnte sich niemand anderen vorstellen.
Er behielt seine Vermutungen für sich und begnügte sich damit, den Ritter zu fragen, ob er irgendeine Ahnung hatte, wer der rätselhafte Auftraggeber war. Mit dem wortlosen Kopfschütteln, das er zur Antwort bekam, fand er sich ab.
Als der junge Ritter zu Ende erzählt hatte, dachten die beiden älteren Brüder eine Weile über das Gehörte nach, und schließlich war es de Payens, der das Wort ergriff.
»Nun, Bruder Stephen, du bist offensichtlich der Verzweiflung nahe gewesen und hast sie ebenso offensichtlich überwunden. Das ist gut. Was deine Gewissensfragen und deine Selbstzweifel betrifft, so kann ich nur meiner Überzeugung Ausdruck verleihen, dass du keines deiner Gelübde unwiderruflich gebrochen zu haben scheinst. So wie ich es sehe, bist du zwar einer vorübergehenden Schwäche erlegen, und dein Urteilsvermögen hat dich im Stich gelassen, doch es war kein bewusster Ungehorsam im Spiel. Das ist allerdings nicht mein Aufgabengebiet, und ich kann kein endgültiges Urteil fällen. Ich schlage daher vor, dass du den Patriarchen noch einmal aufsuchst. Er ist der Mann, der dir am besten raten kann, wie du mit deinen Sorgen umgehen sollst. Ich werde ihn morgen aufsuchen und ihn fragen, ob und wann du noch einmal mit ihm sprechen kannst.«
»Der Patriarch ist nicht hier, Hugh«, sagte St. Omer leise. »Er ist gestern nach Antiochia aufgebrochen und bleibt einen Monat dort, hast du das vergessen?«
Hugh de Payens hob den Blick zum Himmel und faltete fromm die Hände.
»O Herr, welche Tyrannei doch das Alter ist. Ich habe einfach zu viel im Kopf.«
Er wandte sich erneut an St. Clair.
»Dann muss
Weitere Kostenlose Bücher