Der Schatz des Blutes
das also warten, Bruder Stephen. Sobald der Erzbischof zurückkehrt, werde ich ein Gespräch arrangieren, doch bis dahin wird die Zeit rasch verstreichen. Ich verspreche dir, dass du dich nicht langweilen wirst.«
Er warf St. Omer einen Blick zu.
»Falls du dir immer noch Gedanken wegen des Juwels machst, lässt sich das leicht ändern. Übergib es Bruder Godfrey, und wir verlieren kein weiteres Wort darüber. Wenn du es abgegeben hast, kannst du es vergessen und hier unter deinen Brüdern Ruhe finden. Du bist lange fort gewesen. Erzähle ihnen, wo du gewesen bist und welche Abenteuer du erlebt hast. Selbst wenn sie dich nicht danach fragen, möchten sie es doch gern wissen. Nun geh in Frieden und mach dir keine Gedanken mehr, bis der Monat vorüber ist und du mit Warmund von Picquigny gesprochen hast.«
3
H
UGH DE PAYENS hatte Recht. Der Monat war vorüber, bevor St. Clair einen einzigen Gedanken an die Zeit verschwenden konnte, so viel hatte er zu tun.
Abermals verbrachte er einen Großteil seiner Zeit hart arbeitend unter der Erde; er betete viel, und er studierte die verworrenen Karten des Labyrinths aus Tunneln, die man ihnen aus Frankreich geschickt hatte. Sie wurden in einer Truhe im Archivraum aufbewahrt, und St. Clair fand sie faszinierend. Die Tunnel, die sie zeigten, waren weitläufig und komplex, und doch hatten die Ritter bisher keine Stelle gefunden, die sich auf einer der Karten wiedererkennen ließ.
Dort war es, wo ihn André de Montbard eines Tages gedankenverloren über eine Karte gebeugt antraf, um ihm die Bitte zu überbringen, sich so bald wie möglich bei Warmund von Picquigny einzufinden. Da er schon auf diese Einladung gewartet hatte, machte er sich unverzüglich auf den Weg zum bischöflichen Palast.
Dort stellte er sich den Wachen vor und wurde von einem bischöflichen Funktionär durch ein Labyrinth von Zimmern und Korridoren geführt, an das er sich von seinem letzten Besuch nicht erinnern konnte. Doch zunächst dachte er sich nichts dabei.
Schließlich führte man ihn am Ende einer weitläufigen Galerie vorbei, die zu den Privatgemächern des Patriarchen führte – Stephen erkannte einen der herrlichen Wandteppiche wieder. Sie gingen weiter, und sein Führer brachte ihn endlich in ein hohes Gemach mit Steinwänden, einem mit Binsen bestreuten Steinfußboden und kleinen, hoch oben angebrachten Fenstern, die für ein so feuchtes, kühles Klima sorgten, dass sich St. Clair eher an seine Heimat erinnert fühlte als an Outremer. Sein wenig freundlicher Begleiter wies ihm einen Lehnstuhl an und zog sich dann zurück. Er blieb allein und wartete.
Er schätzte, dass er fast eine halbe Stunde gewartet hatte – inzwischen drohte ihn die Ungeduld zu übermannen –, als sich die schwere Tür hinter ihm öffnete und er sich erhob, um den Patriarchen zu begrüßen.
Doch es war nicht Warmund von Picquigny, der auf ihn zugeschritten kam. Stattdessen war es der Mann, in dem er den Privatsekretär des Erzbischofs erkannte, ein Bischof, dessen Name ihm nicht einfallen wollte. St. Clair neigte den Kopf und rechnete fest damit, dass man ihm mitteilen würde, dass der Bischof anderweitig aufgehalten worden war. Daher verblüffte es ihn, als ihn der Fremde vernichtend anfunkelte und ihn ohne ein Wort des Grußes auf seinen Stuhl verwies.
St. Clair ließ sich verdattert nieder und umfasste die eine Armlehne sanft mit der Hand, während er mit der anderen den Dolch in seinem Gürtel zurechtrückte.
Der Bischof nahm hinter einem Tisch am leeren Kamin Platz und begann, ein Dokument zu studieren, das er mitgebracht hatte. Wieder musste St. Clair schweigend warten. Der Bischof brütete eine Weile mit unheilvoll gerunzelter Stirn über seinem Pergament, und just als der Ritter im Begriff war, angesichts einer solch unhöflichen Behandlung aufzustehen und zu gehen, seufzte der Geistliche laut auf, warf das Pergament auf den Tisch, wo es sich sofort wieder zusammenrollte, und richtete den Blick auf St. Clair, während er sich an die Nase fasste.
»Stephen St. Clair«, sagte er. »Wisst Ihr, wer ich bin?«
Stephen schluckte die Bemerkung hinunter, die ihm auf der Zunge lag, doch er hatte auch nicht vor, sich von einem Kirchenmann – ganz gleich, welchen Ranges – einschüchtern zu lassen. Daher zuckte er nur mit den Schultern.
»Ein Bischof?«
»Ich bin Odo de St. Florent, Bischof von Fontainebleau, Privatsekretär Seiner Gnaden, des Patriarchen Warmund von Jerusalem.«
Er verstummte und wartete,
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