Der Schatz des Blutes
Gedanken, und er musste feststellen, dass er im Zustand vollständiger Erregung über den belebten Marktplatz schritt.
Der Panik nahe machte er sich auf den Heimweg, den Stallungen und den jüngsten Entdeckungen in den Tunneln entgegen. Er würde die restliche dienstfreie Zeit, die de Payens ihm gewährt hatte, nicht in Anspruch nehmen, denn ihm war unangenehm bewusst, dass er kurz davor stand, sich wieder im Sumpf der Versuchung zu verlieren. Davor konnte ihn nur harte Arbeit bewahren. Es würde ihm besser gehen, wenn er wieder durch die Dunkelheit der Kammer tappte, die er unter den Tunneln des Tempelbergs entdeckt hatte. Grenzenlos erleichtert stellte er fest, dass der bloße Gedanke an die gigantische Kammer und ihre Geheimnisse die Gedanken an Alice de Bourcq aus seinem Kopf verdrängte.
Schon bald nach ihrem Rückzug an jenem ersten Tag hatten einige der Brüder angefangen, die Kammer als »den Tempel« zu bezeichnen, weil sie so gigantisch war. Doch André de Montbard wollte davon nichts hören und klärte sie schleunigst auf. Das Gewölbe, das sie entdeckt hatten, lag unterhalb des Bereichs, auf dem einmal der ursprüngliche Salomonstempel gestanden hatte, sagte er zu ihnen. Dazu zitierte er einige Quellen aus den Archiven des Ordens, sodass ihnen nichts anderes übrig blieb, als ihm zu glauben. Also benutzten sie nun einen neuen Begriff, und zwar »die Halle«.
So sehr die Brüder André de Montbard auch schätzten und bewunderten, er war von Anfang an etwas Besonderes unter ihnen gewesen, weil Graf Hugh de Champagne, der Seneschall des Ordens, ihn zu ihnen geschickt hatte und er ihnen förmlich aufgedrängt worden war. Das Gleiche galt zwar auch für St. Clair. Doch St. Clairs Entsendung ließ sich durch sein jugendliches Alter, seine Körperkraft und seine Kampfererfahrung begründen, während Montbards Stärken anderswo lagen und eigentlich erst mit der Entdeckung der unterirdischen Tunnel sichtbar geworden waren.
Das unterschied Montbard von allen anderen, und es hätte dazu führen können, dass sie sich weigerten, ihn zu akzeptieren, wäre er ein anderer Mensch gewesen. Er mochte ja ein Vasall des Grafen sein – doch sie alle wussten, dass Montbard selbst ein reicher und mächtiger Mann war, der ihnen das Leben hätte zur Hölle machen können. Dass er dies nicht tat, hatte einige der Brüder ursprünglich überrascht, denn sie hatten ihn zunächst für einen Spitzel gehalten, der auf sie angesetzt worden war.
So war er ein Kuriosum – ein Mann, der in Frankreich große Macht besaß, der aber darauf verzichtete, diese Macht hier in Jerusalem zu demonstrieren, und sich freiwillig in die Dienste eines anderen stellte. Er verkörperte die Idee des Feudalismus, während in der wirklichen Welt der Ehrgeizigen und Korrupten kaum jemand auch nur vorgab, den Interessen eines anderen – ob Feudalherr oder nicht – den Vorrang vor den eigenen Wünschen zu geben.
Bald nach seinem unerwarteten Eintreffen hatten die anderen Montbard als den akzeptiert, der er war, und sich mit seinem ungewöhnlichen Verhalten abgefunden. Niemand hatte je Grund zur Klage über ihn gehabt, und er hatte von Anfang an als einer der Ihren gelebt und sich keinerlei Privilegien herausgenommen.
Mit der Entdeckung der Halle jedoch hatte Montbard begonnen, ihnen Anweisungen zu erteilen – denen de Payens und St. Omer ohne jeden Einwand folgten. Damit machten sie den anderen Brüdern klar, dass auch Montbard seine Anweisungen hatte und ihre jetzige Situation der eigentliche Grund für seine Anwesenheit war.
ALS ER EINIGE TAGE NACH dem Holztransport aus seiner Zelle trat, sah sich St. Clair Montbard gegenüber, der auf ihn wartete. Er blieb abrupt stehen, legte den Kopf schief und zog neugierig die Augenbrauen hoch.
»Ich gehe nach unten«, sagte de Montbard ohne Umschweife. »Begleitest du mich?«
»Aye, einen Moment nur.«
St. Clair kehrte in seine Zelle zurück, aus der er kurz darauf mit seinem Schwertgürtel zurückkehrte, den er sich quer über die Brust hängte, sodass ihm das Schwert auf dem Rücken hing. An seiner Hüfte baumelte ein Dolch.
De Montbard gab sich keine Mühe, sich das Grinsen zu verkneifen.
»Rechnest du damit, dass wir dort unten auf Widerstand stoßen?«
»Du rechnest doch offensichtlich ebenfalls damit. Ich habe meine Waffen nur geholt, weil du deine trägst. Man weiß nie, mein Freund. Vielleicht warten dort Dämonen, die uns in die Hölle saugen wollen, sobald wir diesen Ankh bewegen. Wenn
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