Der Schatz des Blutes
alles mit eigenen Augen gesehen, als er sich – noch als Ratsmitglied – hier aufgehalten hat. Doch damals hatte man ihn nur entsandt, um Beobachtungen anzustellen, und er besaß keinerlei Autorität, selbst etwas zu unternehmen. Er hat Euch aber in voller Absicht hier vor Ort gelassen, auch wenn es ihm nicht gestattet war, Euch etwas über den Grund seines kurzen Besuchs zu erzählen – er war doch nur ein paar Monate hier, nicht wahr?«
De Payens zuckte mit den Achseln. »Aye, weniger als ein Jahr.«
»Nun, er schickt Euch ein Geschenk … Ihr habt doch bemerkt, dass ich in Begleitung eines Maultiertreibers gekommen bin?«
»Aye, das habe ich gesehen.«
»Nun, die Truhe ist für Euch, vom Seneschall persönlich. Sie ist mit einem Schloss versehen und versiegelt, und bevor Ihr sie öffnet, sollt Ihr genauestens überprüfen, ob sich niemand daran vergriffen hat.«
»Was ist denn darin, Amtsroben?«
De Fermond blinzelte überrascht. »Aye, Amtsroben, aber woher wisst Ihr das?«
De Payens lächelte. »Das ist keine Hexerei. Bei unserem letzten Zusammentreffen haben der Graf und ich darüber gesprochen. Der Graf hatte selbst alles Notwendige nach Outremer mitgebracht, doch es war während eines Überfalls auf seine Karawane vernichtet worden. Und natürlich konnten wir nur Ersatz beschaffen, indem wir jemanden nach Frankreich schickten.«
De Fermond neigte ernst den Kopf.
»Nun, Sir Hugh, jetzt, da Ihr und die anderen Brüder hier in Outremer wieder im Besitz der Ordensinsignien seid, ist es meine Pflicht, Euch folgende Anweisung zu überbringen: Der Seneschall beauftragt Euch, Sir Hugh de Payens, Euch wieder auf die Mysterien zu besinnen, die Ihr als Vorbereitung auf Eure Ordensweihe studiert habt. Desgleichen, Euch nun im Rahmen Eurer Pflichterfüllung hier im Heiligen Land nach Mitteln und Wegen umzusehen, diese Mysterien zur Erfüllung zu bringen.«
De Fermond verstummte, und Hugh blieb stehen. Er legte den linken Arm vor seine Brust, stützte ihn auf den rechten Ellbogen und klopfte mit dem Daumennagel gegen seine Schneidezähne.
»Diese Mysterien zur Erfüllung zu bringen«, echote er nach einer Weile, als führte er ein Selbstgespräch. »Wie ich schon sagte, Geräusche, aber ohne Sinn. Wisst Ihr vielleicht, was die Worte bedeuten, die Ihr gerade gesagt habt, Fermond? Denn ich weiß es gewiss nicht.«
Ohne diese Frage zu beachten, antwortete Fermond mit einer Gegenfrage.
»Ist Euch Graf Fulk von Anjou ein Begriff?«
»Gibt es irgendwo einen Franken, dem dieser Name kein Begriff ist? In Anjou wimmelt es von Grafen namens Fulk. Ich kenne Fulk den Dritten und Fulk den Vierten persönlich, Vater und Sohn. Welchen meint Ihr?«
»Keinen von beiden, Mylord. Sie sind beide tot. Der jetzige Graf ist Fulk der Fünfte. Er ist ein ranghoher Offizier unseres Ordens.«
»Natürlich ist er das, genau wie seine Vorfahren.«
»Aye, nun ja, ich habe die Anweisung, Euch mitzuteilen, dass Graf Fulk, wenn alles gut geht, im Lauf des nächsten Jahres nach Outremer kommen wird, um hier die Kontrolle der Arbeit des Ordens zu übernehmen und Eure Bemühungen zu beaufsichtigen.«
»Von wem habt Ihr diese Anweisung erhalten?«
»Vom Rat.«
»Ich verstehe … Und der Graf soll meine Bemühungen in welcher Hinsicht beaufsichtigen?«
Fermond räusperte sich, dann setzte er sich in Bewegung und sprach mit leiser Stimme weiter, denn eine verschleierte Frau, die einen schmalen Wasserkrug auf dem Kopf trug, näherte sich ihnen.
»Nicht nur Eure Bemühungen, Mylord … die aller Brüder im Heiligen Land. Eure Anweisung lautet, alle Brüder zu sammeln, die Ihr in Outremer finden könnt, um die Gebräuche und Rituale des Ordens wiederzubeleben, und einen Weg zu finden, in den Ruinen des Salomonstempels eine Ausgrabung durchzuführen, die zur Wiederentdeckung der Schätze und Kultgegenstände dienen soll, die laut der Lehren unseres Ordens dort vergraben liegen.«
Hugh ging noch einige Schritte gesenkten Kopfes schweigend weiter, als müsse er das Gehörte erst einmal verdauen. Doch dann fing er an zu lachen, zuerst ein ungläubiges Prusten, dann aus voller Kehle, so laut, dass es die Vögel aus den Dattelpalmen aufscheuchte. Fermond warf ihm einen Seitenblick zu, schwieg aber, bis Hughs Ausbruch vorüber war. Als er dann Luft holte, um etwas zu sagen, schnitt ihm Sir Hugh mit erhobener Hand das Wort ab.
»Halt. Bitte sagt nichts. Lasst mir etwas Zeit, über das nachzudenken, was ich jetzt zu Euch sage. Ihr konntet Euch
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