Der Schatz des Dschingis Khan
Familie und leben ihr Leben in gewohnten Bahnen. Die anderen sind rastlos und durchaus bereit, Neues zu wagen. Sie sind es, denen die Zukunft gehört, denn jeder Fortschritt erfordert Mut. Viele von ihnen haben Großes geleistet und sind reich und berühmt geworden, andere hingegen haben alles verloren.«
»Und zu welcher Art Mensch gehöre ich?«, fragte Muriel, die sich über derartige philosophische Fragen noch keinerlei Gedanken gemacht hatte.
»Kannst du dir das nicht denken?« Wieder umspielte ein dünnes Lächeln die Lippen der Göttin. »Ascalon erwählt immer einen der Mutigen und Rastlosen«, sagte sie. »Er besitzt ein feines Gespür dafür, wem er vertrauen kann.«
»Dann werde ich ihn nicht enttäuschen.« Muriel bemühte sich um eine feste Stimme und erhob sich. Der Gedanke, Ascalon an die Mongolen zu verschenken, gefiel ihr zwar immer noch nicht, aber sie beschloss, ihre Zweifel für sich zu behalten. Wenn Ascalon ihr sein Vertrauen schenkte, wollte sie ihm das ihre nicht vorenthalten. Sie wollte glauben, dass alles gut ausgehen würde, und vertraute darauf, dass der Plan der Göttin aufging.
Gemeinsam verließen sie die Hütte, Ascalon erwartete sie schon. Als die Tür sich öffnete, schaute er hoch und kam auf Muriel zu, als könnte er es nicht erwarten, endlich aufzubrechen. Behände schwang sich Muriel auf seinen Rücken.
»Hier!« Die Göttin reichte ihr einen grob genähten Lederbeutel, in dem sich das Fläschchen mit dem Trank des Vergessens befand. »Pass gut darauf auf. Ich habe den Trank eigens für deine Reise hergestellt. Einen Ersatz gibt es nicht.«
»Keine Sorge, ich werde vorsichtig sein.« Muriel wollte den Lederbeutel wie selbstverständlich in ihre Jackentasche stecken, so wie sie es mit ihrem Haustürschlüssel und anderen Dingen auch immer tat, aber die Göttin hielt sie zurück. »Nicht da hinein!«, sagte sie und legte mahnend die Hand auf Muriels Arm. »Du weiß doch, was unterwegs mit der Jacke geschieht.«
»O!« Muriel errötete. Wie peinlich. Kaum hatte sie behauptet, vorsichtig zu sein, tat sie genau das Gegenteil. Dass die Jacke verschwinden und sie bei ihrer Ankunft die Kleidung einer Mongolin tragen würde, hatte sie nicht bedacht. Stirnrunzelnd schaute sie den Lederbeutel an. »Und was mache ich jetzt damit?«
»Binde die Schnur um dein Handgelenk«, riet die Göttin. »Der Beutel stammt aus der Zeit, in die du reiten wirst. Er wird den Ritt unbeschadet überstehen.«
»Und die Flasche?« Plötzlich kamen Muriel Zweifel, ob es zu Zeiten von Dschingis Khan schon Glasflachen gegeben hatte. Wenn sich das Gefäß während des Zeitsprungs in Nichts auflöste, war ihre Mission gescheitert, ehe sie begonnen hatte.
»Sie wird bestehen«, hörte sie die Göttin in ihre Gedanken hinein sagen. »Ein Zauber schützt sie vor den Gesetzen der Zeit, solange sich die Flüssigkeit in ihr befindet. Sobald du deinen Auftrag ausgeführt hast, wird sich die Flasche jedoch auflösen.«
»Ein Zauber? Echt?« Muriel staunte. »Beweismittel, die sich selbst vernichten. Nur gut, dass die Verbrecher im 21. Jahrhundert so etwas noch nicht kennen.« Sie hätte gerne noch mehr über die wundersamen Eigenschaften der Flasche erfahren, aber die Göttin ging nicht näher darauf ein, sondern fragte nur: »Seid ihr bereit?«
Ascalon schnaubte und scharrte wie zur Antwort ungeduldig mit den Hufen. »Ascalon ist wohl so weit«, meldete Muriel überflüssigerweise. »Und ich bin es auch!«
»Dann bleibt mir nur, euch viel Erfolg zu wünschen«, sagte die Göttin und fügte hinzu. »Wenn ihr scheitert, ist die Welt in großer Gefahr.«
»Warum?«
»Kannst du dir das nicht denken?« Die Göttin schaute zu Muriel auf. »Ein Amulett mit solcher Macht über Menschen in den Händen eines Wissenschaftlers, der nicht zögern würde, die verheerenden Waffen einzusetzen, die eure Forscher entwickelt haben, vermag großes Unheil anzurichten.«
»Stimmt. Daran habe ich noch gar nicht gedacht.« Erst jetzt verstand Muriel wirklich, warum das Grab des Dschingis Khan auf keinen Fall gefunden werden durfte. »Ich werde mein Bestes tun«, versprach sie feierlich und fügte dann leiser hinzu: »Natürlich ohne etwas in der Vergangenheit zu verändern.«
»Dann ist es gut.« Die Schicksalsgöttin schenkte Muriel ein aufmunterndes Lächeln und strich Ascalon liebevoll mit der Hand über das dunkelbraune Fell. »Viel Glück, alter Freund«, sagte sie zärtlich. »Wieder einmal liegt es an dir und Muriel, über
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