Der Schatz des Dschingis Khan
schschsch … dump, dump … schschsch … dump …
Ascalon tänzelte. Seine Ohren zuckten. Das Gehabe des Schamanen und die Geräusche machten ihn nervös. Auch Muriel war angespannt. Sie hatte immer noch nichts gegessen und fror inzwischen so sehr, dass sie ein Zähneklappern nur mit Mühe unterdrücken konnte. Anmerken ließ sie es sich jedoch nicht. Sie wusste, dass dies der alles entscheidende Augenblick ihrer Reise war. Der Khan vertraute dem Schamanen. Von seinem Urteil würde es abhängen, ob er das Geschenk annahm oder nicht.
Dump … schschsch … dump, dump … schschsch …
Der Schamane umrundete Ascalon ein zweites Mal. Dann ließ er die Arme sinken, trat vor den Khan und sagte: »Ich spüre den Atem der Götter an diesem Tier. Sie sagt die Wahrheit.«
Auf dem Gesicht des Khan zeigte sich ein breites Grinsen. Er wirkte erleichtert, ganz so, als habe er schon befürchtet, das Urteil des Schamanen könnte anders ausfallen. Stolz und glücklich ein so prächtiges Pferd sein eigen nennen zu dürfen, hob er die Arme und verkündete mit lauter Stimme. »Ihr habt es gehört, Männer. Dieses Pferd sandte Tengri selbst in die Steppe, um mir zu gefallen. Ich fühle mich geehrt und nehme die Gabe an.«
Jubel brandete auf, aber der Khan hob sogleich wieder den Arm und wandte sich an Muriel. »Ich danke dir, Mädchen«, sagte er nun wieder ohne ein Lächeln. »Du hast mir das Wertvollste gebracht, das ein Mann besitzen kann, und sollst mein Gast sein – Kubilay!« Er winkte einen der Männer herbei, die hinter ihm standen. »Er wird dich in seinem Ger willkommen heißen und dafür sorgen, dass es dir an nichts mangelt.«
»Danke!« Muriel hatte einen dicken Kloß im Hals. Sie wusste, dass sie nun absitzen und Ascalon an den Khan übergeben musste, aber sie rührte sich nicht. Alles in ihr sträubte sich dagegen, sich von Ascalon zu trennen.
Geh! , drängte Ascalon. Schnell!
Muriel zögerte, dann schwang sie sich von Ascalons Rücken, fasste ihn an der Mähne und führte ihn die wenigen Schritte auf den Khan zu. »Möge er dich zu Ruhm und Reichtum führen, so wie der große Tengri es bestimmt hat«, sagte sie mühsam beherrscht, löste die Hand aus der Mähne und beobachtete, wie der Khan Ascalon über den Nasenrücken strich. »Ein Pferd der Götter«, hörte sie ihn murmeln. »Eines Großkhans und eines Siegers würdig.« Dann wandte er sich um, fasste in Ascalons Mähne und führte ihn durch die Gasse davon. Vier der fünf Männer schlossen sich ihm an, während die Fackelträger eilig an Muriel vorbeihuschten, um dem Khan den Weg zu leuchten.
Die Menge zerstreute sich.
»Ich fühle mich geehrt, die Botin Tengris meinen Gast nennen zu dürfen.« Der Mongole, den der Khan ihr als Kubilay vorgestellt hatte, trat näher und machte eine auffordernde Handbewegung. »Du musst hungrig und erschöpft sein«, sagte er mit erstaunlich angenehmer Stimme. »Folge mir zu meinem Ger. Meine Frauen werden eine Mahlzeit für dich bereiten und dir ein Lager für die Nacht herrichten.«
Kubilays Ger unterschied sich in Größe und Raumaufteilung kaum von dem, in dem Toja mit ihrer Familie wohnte, allerdings waren die Kissen und Wandbehänge kunstvoller bestickt, statt Fellen gab es bunte Decken für die Nacht und auch das Geschirr und die Töpfe waren kostbarer als die, welche die einfachen Leute verwendet hatten. Wie alles im Ger zeugte auch die Kleidung der Frauen davon, dass Kubliay im Heer des Khan eine gehobene Stellung innehaben musste.
Tapfer leerte Muriel die Schale mit Airag, die ihr auch diesmal zur Begrüßung gereicht wurde, und verzehrte einige Stücke Aruul*, eine Speise aus getrocknetem Quark. Die in Quader geschnittenen Stücke waren schwer zu kauen und mussten daher gelutscht werden, aber sie sättigten und Muriel fühlte sich schon bald gestärkt. Die Wärme des Feuers tat ein Übriges, um sie schläfrig zu machen, und es fiel ihr immer schwerer, die Augen offen zu halten.
Kubilay entging das nicht. Mit knappen Worten wies er eine seiner vier Frauen an, ein Nachtlager für Muriel herzurichten. Muriel atmete auf. Die kostbaren Kissen und Decken übten auf sie eine fast magische Anziehungskraft aus und kaum, dass sie sich niedergelegt hatte, war sie auch schon eingeschlafen.
»Wie eine Göttin sieht sie aber nicht aus.«
»Nein.«
»Sie sieht aus wie wir.«
»Nur älter.«
»Aber nicht wie eine Göttin.«
Muriel hörte Kinderstimmen, als sie langsam erwachte. Blinzelnd öffnete sie die Augen und
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