Der Schatz des Dschingis Khan
schienen zu schlafen.
»... sieht nicht gut für ihn aus, mein Sohn«, sagte Kubilay gerade. »Unser Khan ist schwer verletzt. Er kann seine Arme und Beine nicht bewegen.«
»Hat er Schmerzen?«, wollte Baku wissen.
»Er spürt nichts.«
»Das ist gut.«
»Nein. Das ist es nicht.« Kubilay verstummte, als müsste er erst abwägen, wie viel er seinem Sohn preisgeben wollte. »Wenn er keine Schmerzen hat«, sagte er schließlich, »kann er den Heilern nicht sagen, wo sie ihn behandeln müssen. Äußerlich ist nichts zu sehen, aber niemand kann sagen, wie es innen aussieht.«
Baku schwieg, dann sagte er: »Wird er wieder gesund?«
Kubilay seufzte. »Das wissen nur die Götter.«
»Was wird aus dem Feldzug, wenn der Khan stirbt?«
»Darüber haben seine Söhne schon beraten.« Wieder zögerte Kubilay und wieder entschied er sich, seinen ältesten Sohn ins Vertrauen zu ziehen. »Der Feldzug wird stattfinden«, sagte er, »auch wenn die Götter unseren Khan zu sich rufen.«
»Aber werden die Klanführer seinen Söhnen noch folgen?«, fragte Baku, der ganz offensichtlich nicht das erste Mal ein solches Gespräch mit seinem Vater führte. »Du hast doch mal gesagt, wenn der Großkhan stirbt, könnte die Einheit unseres Volkes zerbrechen.«
»Diese Gefahr besteht durchaus«, pflichtete Kubilay seinem Sohn bei. »Daher musst du mir auch in Tengris Namen schwören, dass du niemandem erzählst, was ich dir jetzt anvertraue – schwörst du mir das?«
»Ich schwöre es bei Tengri!«
»Gut.« Kubilay schien das zu genügen. »Wenn der Khan stirbt, und ich zweifle nicht daran, dass dies bald geschehen wird, wird niemand davon erfahren, bis der Feldzug beendet ist«, erklärte er. »Wir haben beschlossen, alle in dem Glauben zu lassen, dass der Khan zwar schwer erkrankt ist, aber immer noch selbst die Entscheidungen trifft. Was wirklich geschehen ist, werden nur seine Söhne und seine engsten Vertrauten wissen.«
»Und seine Frauen?«
»Auch die nicht. Nur Börte, seine erste Frau, ist in den Plan eingeweiht.«
Muriel staunte. Kubilay musste seinem Sohn wirklich voll und ganz vertrauen, wenn er ihm ein so wichtiges Geheimnis offenbarte.
»... wenn wir siegreich sind, werden die Söhne des Khan genügend Reichtümer ihr Eigen nennen, um sich die Treue der Klanführer damit zu sichern. Deshalb ist es so wichtig, dass der Feldzug stattfindet. Nicht nur für uns, sondern für unser ganzes Volk. Die Einheit der Mongolen, die der Großkhan geschaffen hat, muss erhalten bleiben. Auch über seinen Tod hinaus.«
»Ich verstehe.«
Muriel war erstaunt, wie erwachsen Baku plötzlich klang.
»Mach dir keine Sorgen, Vater. Ich schweige wie ein erlegter Wolf.«
»Ich weiß.« Kubilay seufzte. »Aber jetzt schlaf, mein Sohn. Ich werde dich wissen lassen, wenn es etwas Neues gibt.«
Leder raschelte und Muriel sah Schatten, die sich im Zwielicht bewegten. Dann kehrte Ruhe ein. Eine Weile lag sie noch wach, dachte darüber nach, was sie gehört hatte, und nahm sich vor, von nun an nicht mehr von Bakus Seite zu weichen. Wenn Kubilay die Wahrheit gesagt hatte, würde der Großkhan mit Sicherheit heimlich bestattet werden – und das konnte nicht mehr allzu lange dauern.
In den beiden darauffolgenden Tagen geschah nicht allzu viel. Das Leben im Lager ging seinen gewohnten Gang, aber es schien, als habe der Reitunfall des Khan alles Lachen und alle Fröhlichkeit erstickt. Die Mongolen wirkten wie gelähmt. Muriel ließ Baku nicht aus den Augen. Sooft es ging, leistete sie ihm unter einem Vorwand Gesellschaft und beobachtete ihn verstohlen, wenn er sich mit seinen Freunden in der Nähe des großen Rundzeltes von Dschingis Khan herumtrieb. Dabei nutzte sie die Gelegenheit, sich heimlich davon zu überzeugen, dass es Ascalon gut ging. Er war in der Nähe des Rundzeltes angepflockt und ertrug sein Schicksal scheinbar gelassen. Muriel wurde jedes Mal traurig, wenn sie ihn so angebunden sah, stellte aber erleichtert fest, dass man ihm nicht die Beine gefesselt hatte, wie die Mongolen es mit den Steppenpferden taten.
Kubilay sah sie nur selten, meist zu den Mahlzeiten. Er wirkte verschlossen und in sich gekehrt und beantwortete die Fragen der Frauen und Mädchen nur kurz und knapp. Er hielt vor der Familie geheim, wie es wirklich um den Großkhan stand.
»Es geht ihm besser.«
»Ja, er ist ansprechbar.«
»Nein, reiten wird er nicht so schnell wieder können.«
»Die Heiler sind zuversichtlich.«
»Er berät sich bereits wieder mit
Weitere Kostenlose Bücher