Der Schatz des Dschingis Khan
nicht.
Zwischen Hoffen und Bangen
Der Unfall des Großkhans setzte dem fröhlichen Treiben des Naadams und damit auch dem Fest ein jähes Ende. Niemand verschwendete auch nur einen Gedanken daran, dass die Sieger des Wettrennens noch nicht geehrt worden waren und keinem war mehr nach Feiern zumute. Die eigentlichen Bogenschützen traten gar nicht erst an, um sich in ihren Künsten zu messen. Wo eben noch ausgelassene Freude das Geschehen bestimmt hatte, herrschte nun Entsetzen und betroffenes Schweigen.
Krieger hatten den besinnungslosen Khan auf eine Trage gelegt und in sein Ger gebracht, wo sich die Heiler und Schamanen um ihn kümmerten. Ersten Berichten zufolge war er am Leben, aber niemand konnte oder wollte sagen, wie schwer die Verletzungen waren, die er bei dem Sturz davongetragen hatte.
Es dauerte lange, ehe sich die auf dem Festplatz versammelte Menge zerstreute. Das Ungeheuerliche war nur schwer zu begreifen und ein jeder hoffte insgeheim, vielleicht doch noch etwas darüber zu erfahren, wie es um den Khan stand. Als die Sonne sich dem Horizont zuneigte, folgte Muriel Sande-An und den Mädchen zum Ger. Baku war nicht bei ihnen. Zusammen mit einigen anderen Jungen lungerte er in der Nähe von Dschingis Khans Ger herum, in der Hoffnung, Neuigkeiten aufzuschnappen. Die Mädchen hatten ebenfalls dorthin gehen wollen, aber Sande-An hatte es ihnen verboten. »Wenn es etwas gibt, das wir wissen müssen, wird euer Vater uns davon berichten«, hatte sie gesagt und darauf bestanden, dass die Mädchen mit nach Hause kamen.
Wie schon auf dem Festplatz herrschte auch im Lager eine bedrückte Stimmung. Dazu kam eine unnatürliche Stille, ganz so, als würden auch die Tiere spüren, was vorgefallen war. Selbst der Wind schwieg.
Obwohl Muriel wusste, wie es um den Khan stand und was geschehen würde, konnte sie sich der allgemeinen Stimmung nicht entziehen. Sie fühlte mit den Menschen, die sich um ihren Anführer sorgten, den sie liebten und verehrten, als wäre er ihr Vater. Trotzdem hielt sie sich vorsorglich aus den Gesprächen heraus und antwortete nur das Nötigste, wenn sie etwas gefragt wurde.
Der Abend kam und Baku kehrte zurück. Amra, Venja und Thuy bestürmten ihn sofort mit Fragen, aber er wusste auch nichts Neues zu berichten.
»Es muss schlimm um ihn stehen, wenn sie es so lange geheim halten«, hörte Muriel einmal eine der anderen Frauen zu Sande-An sagen und dachte bei sich, wie nahe sie mit dieser Vermutung der Wahrheit doch kam. Aber Sande-An wollte das nicht glauben. »Der Khan erholt sich schnell«, sagte sie so nachdrücklich, als genüge allein die feste Überzeugung, um aus dem Wunsch Wahrheit werden zu lassen. »In seinen Adern fließt das Blut der Götter. Ein Sturz vom Pferd wird ihn nicht umbringen.«
Beim Essen sagte kaum jemand ein Wort. Je weiter der Abend voranschritt, desto schweigsamer wurden alle. Baku hatte sich zurückgezogen und zu schnitzen begonnen. Auch die Mädchen beschäftigten sich leise. Es war deutlich zu spüren, dass alle auf Kubilay warteten, aber der Abend wich der Nacht und er kehrte immer noch nicht zurück. Schließlich schickten die Frauen die Mädchen schlafen. Diese murrten zwar, waren aber schon bald eingeschlafen. Muriel gab vor, auch müde zu sein, und legte sich ebenfalls auf ihr Lager. Baku hingegen weigerte sich standhaft und beharrte darauf, erst dann schlafen zu gehen, wenn er mit seinem Vater gesprochen hatte.
Endlos kroch die Zeit dahin. Während die Frauen am Feuer beisammensaßen und leise miteinander redeten, schnitzte Baku so verbissen, dass es aussah, als ob er einen Kampf mit dem Holz ausfocht. Muriel war nicht müde, gab aber vor zu schlafen. Wie Baku wollte auch sie auf keinen Fall verpassen, wenn Kubilay heimkam. Sie wusste, dass der Khan an den Folgen des Reitunfalls sterben würde, aber sie wusste nicht wann. Was immer geschehen würde, von nun an durfte sie Baku nicht aus den Augen lassen. Wenn er aufbrach, um die Beerdigung des Khan zu beobachten, musste sie ihm folgen.
Irgendwann fielen ihr vor Müdigkeit dann doch die Augen zu.
Mitten in der Nacht schreckte sie auf, weil sie Stimmen hörte. Im Ger war es dunkel. Nur die Glut des Feuers verströmte noch ein schwaches Licht. Im ersten Augenblick war sie etwas orientierungslos und wusste nicht gleich, was geschehen war, doch dann fiel es ihr wieder ein und sie lauschte. Kubilay war zurückgekommen. Muriel erkannte seine dunkle Stimme sofort. Er sprach leise mit Baku. Die Frauen
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