Der Schatz des Dschingis Khan
sie Ascalon zu erkennen glaubte, aber der Augenblick verging so schnell, dass es auch eine Täuschung gewesen sein konnte.
Mit dem Steppenwind
Obwohl Muriel wusste, dass es die letzte Nacht im Ger von Kubilay sein würde, fand sie keinen Schlaf. Das Erlebte hallte noch in ihren Gedanken nach und das Wissen darum, dass sich das Schicksal von fünfzehn Mongolen irgendwo dort draußen in diesen Stunden erfüllte, ließ sie keine Ruhe finden. Rastlos wälzte sie sich unter ihrer Decke von einer Seite auf die andere, während die Geräusche, die von Bakus Lager zu ihr drangen, verrieten, dass es dem jungen Mongolen nicht anders erging.
Als Kubilay am frühen Morgen heimkehrte und sich schlafen legte, wusste sie, dass es vorbei war. Noch in tausend Jahren würde niemand sagen können, wo sich das Grab von Dschingis Khan befand. Sie hatte gerade einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass es auch so bleiben würde, aber richtig freuen konnte sie sich darüber nicht.
Sie war froh, als ein schwaches Licht hinter dem Zelteingang vom heraufziehenden Morgen kündete, und begann sich über den nahen Abschied Gedanken zu machen. Sie hatte Sande-An und besonders Bakus kleine Schwestern inzwischen sehr ins Herz geschlossen, trotzdem war sie froh, wieder nach Hause zurückzukehren.
Nach allem, was geschehen war, wusste sie, dass sie es nicht würde ertragen können, sich von Kubilay zu verabschieden. Daher hielt sie es für besser, das Ger heimlich zu verlassen – auch wenn es nach all der herzlichen Gastfreundschaft, mit der die Familie sie aufgenommen hatte, sehr unhöflich erscheinen musste. Ein weiterer Grund war, dass sie nicht vorhatte, etwas mitzunehmen, und fürchtete, dass man sie mit Fragen bedrängen würde, auf die sie nicht antworten konnte. Schon deshalb erschien ihr ein heimlicher Aufbruch mehr als angebracht.
Leise stand Muriel auf, huschte durch das Zelt und nahm sich etwas Aruul. Sie wusste nicht, wann und wo sie auf Ascalon treffen würde, und wollte nicht mit leerem Magen aufbrechen.
Baku schien doch noch eingeschlafen zu sein. Er rührte sich nicht.
»Gehst du fort, Ojuna?« Amra setzte sich unter ihren Fellen auf, rieb sich die Augen und schaute Muriel an.
»Ja. Schscht!« Muriel flüsterte, um die anderen nicht zu wecken und legte den Finger mahnend auf die Lippen.
Amra verstand. »Jetzt schon?«, fragte sie leise.
»Ja. Es ist ein weiter Weg nach Hause.«
»Schade.« Amra schaute sie traurig an. »Ich werde dich vermissen.«
»Ich dich auch.« Muriel lächelte. »Aber ich möchte zurück zu meiner Familie. Das verstehst du doch sicher.«
»Ja.«
»Sei so lieb und richte Sande-An und Kubilay meinen Dank aus. Und grüße auch die anderen von mir«, bat Muriel und fügte hinzu: »Sag ihnen, ich habe mich bei euch sehr wohl gefühlt.«
»Das mache ich.« Amra nickte ernst. »Möge Tengri dich auf deinem Ritt beschützen.«
»Und dich und deine Familie auch.« Muriel war schon an der Tür. »Bayartai – Auf Wiedersehen.« Ein letztes Mal schaute sie sich um und hob zum Abschied die Hand, dann schlüpfte sie hinaus.
Draußen empfingen sie die Kühle des Morgens und die Stille eines schlafenden Lagers. Nur über einer Handvoll der Rundzelte stiegen schon Rauchfahnen auf, die davon kündeten, dass die Frauen die Herdfeuer bereits entzündet hatten. Muriel umrundete Kubilays Ger mit schnellen Schritten. Mit etwas Glück würde sie das Lager verlassen können, ohne jemandem zu begegnen.
Der kleine Hengst, den der Khan ihr geschenkt hatte, stand nicht weit entfernt. Neben Bakus Pferd und den Pferden der Mädchen war er mit dem Halfter an einer straff gespannten Leine nahe dem Ger angebunden und stand mit hängendem Kopf dösend in der Morgendämmerung.
Dampf stieg aus seinen Nüstern auf, als er schnaubte und die Mähne schüttelte. Er schien zu spüren, dass der Aufbruch nahe war, und scharrte ungeduldig mit den Hufen, hielt aber still, als Muriel sich bückte, um die Fesseln zu lösen. Muriel überlegte kurz, ob sie aufsitzen sollte, entschied sich dann aber dafür, den Hengst am Halfter zu führen. Seit er mit ihr durchgegangen war, hatte sie großen Respekt vor ihm und wollte so kurz vor der Heimkehr keinen Abwurf mehr riskieren. Den Hengst mit sich führend, machte sie so große Schritte, wie es ihr die dicke Lederkleidung nur erlaubte. Während sie nach dem kürzesten Weg aus dem Lager suchte, wanderte ihre Hand wie von selbst zu dem »Ring der Hüter«. Ihre Finger ertasteten die beiden
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