Der Schatz des Störtebeker

Ovelgönne kam als »Jan Himp und die kleine Brise«, ein älterer Haudegen aus Blankenese markierte Hans Albers, und Freddy Quinn war als Freddy Quinn verkleidet erschienen.
    Nachdem die Mäntel entsorgt waren, der neueste Klatsch und hinterhältigste Tratsch aus dem intrigenreichen Biotop der Elbvororte erörtert worden war, strömten die versammelten Verkleidungskünstler in den Bankettbereich des Hotels, wo man sich in endlosen Fluchten und Fluren erging, durch Säle spazierte, Büfetts plünderte, Champagner vergoss und die teuren Kostüme mit kunstvoll montierten Saucen bekleckerte. Gelegentlich traten eifrige Kellner aus geheimen Türen, hinter denen gekachelte Gänge in Küchenräume führten, und brachten Nachschub an Getränken oder präsentierten allerhand kalte und warme Häppchen, an denen sich die Feiernden die Finger schmutzig machen konnten.
    Greta bemerkte noch sechs oder sieben andere Gäste, die etwa in ihrem Alter sein mochten, und spürte den Blick diverser graumelierter Herren, denen sofort aufgefallen war, dass der von der Brosche zusammengehaltene Umhang nur wenig von ihrem Dekolletee verdeckte, das ihr dämlicher Push-up-BH ziemlich in den Vordergrund spielte. Sogar Till das Fischstäbchen, der wohlerzogene Bürgersohn, wurde immer wieder magisch von diesem Detail im Gesamtbild ihres Piraten-Outfits in den Bann gezogen. Vielleicht war das ja der Grund, warum er nicht von ihrer Seite wich. Er ließ ihr praktisch keine andere Wahl, als immer pampiger zu ihm zu werden. Sie fand ihn penetrant. Gelegentlich wurde sie von ihrer Mutter fortgezogen, um irgendwelche Bekannten zu begrüßen und mit ihnen anzustoßen, aber kaum waren diese Leute wieder im wogenden Trubel verschwunden, da stand Till auch schon wieder neben ihr. Sie lehnte es ab, mit ihm zu tanzen. Wer will sich schon von einem Fischstäbchen zu James-Last-Gemucke herumschieben lassen?
    Nach einer Stunde gemeinsamen Aufwärmens und Gewöhnens an Luftballons, Luftschlangen, Papierblumen, Girlanden und Alkohol begann das Programm mit der Tombola: Man kaufte für viel Geld ein Los und gewann eventuell eine Kleinigkeit und hatte damit schon wieder zehn drogensüchtigen Strichjungen vom Hauptbahnhof das Leben gerettet. Danach wieder Mucke, anschließend Kabarett, dann Howard Carpendale, der es nicht sehr lustig fand, dass einer der Kabarettisten ihn als »Knuddel-Teddy heimatloser Butterfahrt-Nomaden« ankündigte.
    Nach Howie wurde das beste Kostüm prämiert. Dazu wurde auf der Bühne des großen Saals ein Applausmessgerät installiert und von einem als Käpt’n Blaubär verkleideten Animateur mit großem Brimborium als unbestechliches Instrumentarium vorgestellt. Anschließend kamen die durch eine willkürliche Vorausscheidung bestimmten Spitzenkandidaten auf die Bühne und wurden dem Applaus ausgesetzt. Greta hatte so lange auf einen der umherschweifenden Organisatoren vom Festkomitee eingeredet, bis der ihre Mutter in die Vorausscheidung genommen hatte. Sie musste mit ihren sieben Armen über die Bühne laufen und sich beglotzen lassen. Das war Gretas Rache für den heutigen Abend. Natürlich gewann sie keinen Preis. Auch die Schillerlocke nicht, obwohl die zu Gretas Favoriten zählte. Till war pikiert, weil niemand ihn als echtes Iglo-Original zur Kenntnis nahm. Gewinner wurde schließlich ein Kollektiv, das sich als riesiger Moby Dick verkleidet hatte, auf dem ein leibhaftiger Kapitän Ahab mit Harpune thronte. Einziger Kritikpunkt war: Das Kostüm sei viel zu groß. Tatsächlich kam es nur selten zum Einsatz, denn zum Trinken, Essen, Tanzen und Herumalbern teilte der Wal sich immer wieder in seine Einzelteile auf.
    Nach dem »Contest«, wie der Zeremonienmeister es nannte, wurde wieder gemuckt, gerockt und geschunkelt, und der absolute Höhepunkt sollte dann um Mitternacht der Auftritt von Liza Minelli sein. Davon bekam Greta nichts mehr mit, obwohl es sie sehr interessiert hätte.
    Das lag nicht an Till dem Fischstäbchen, auch nicht an dieser als Seepferdchen verkleideten grünäugigen Matrone, die immer um sie herumschlich und ihr Kostüm musterte, sondern an diesem hübschen Blondschopf im Matrosenanzug. Ein Mädchen, etwa in Gretas Alter. Sie stand plötzlich lächelnd vor ihr. Irgendwie verführerisch. Wenn die Männerwelt nur aus graumelierten Lüstlingen und pickeligen Fischstäbchen besteht, musst du eben zur Lesbe werden, entschied Greta. Und ehe sie sich versah, tanzte sie mit dem blonden Lockenkopf Walzer und Tango. Sie