Der Schatz des Störtebeker
sich mit gut siebzig Prozent der Anwesenden einig. Wie immer bei solchen Ereignissen kam es darauf an, gesehen zu werden. Später, im unübersichtlichen Trubel und bei dem Gedröhne, das als Musik ausgegeben wurde, konnte man kaum noch ein vernünftiges Wort mit jemandem wechseln. Zwischen den Großereignissen des Abends, der Wohltätigkeitstombola, dem Kabarettprogramm, dem Bejubeln der Überraschungsstars (im letzten Jahr waren es Barbra Streisand und Udo Jürgens gewesen, dieses Jahr, so wurde gemunkelt, sollten Howard Carpendale und Liza Minelli die begehrten Blitzauftritte machen dürfen), der Kostümprämierung und der Auslobung des elegantesten und des virtuosesten Tanzpaares, war kaum Zeit für intensiven Informationsaustausch. Das musste gleich zu Anfang erledigt werden.
Dieser Sport, den Greta ihrem Vater gegenüber als »Lobby-Mobbing« bezeichnet hatte, ging folgendermaßen vonstatten: Die Damen der Gesellschaft in ihren Pelzmänteln, die sie auf dem kurzen Weg vom Taxi bis zum Hoteleingang gewärmt hatten, ließen ihre Männer in der Schlange stehen und liefen von dieser Bekannten zu jener Verwandten und tauschten Informationen aus. Deshalb hatte ihre Mutter ja so großen Wert darauf gelegt, dass Greta mitkam. Sie musste nämlich den Platz in der Schlange einnehmen, während die lächelnde Marie-Christin mit ihrem Ozottel durch die Halle schwebte. Ihr Vater hatte das Atlantic nur ein einziges Mal betreten, zu seinem eigenen Hochzeitsbankett, aber das war verdammt lang her.
»Guten Abend, Annagreta.« Scheiße, der Kerl, der aussah wie ein Schuhkarton der Größe fünftausend hatte sich umgedreht. Sie hatte schon von der Seite sein pickeliges Gesicht bemerkt. Till, der Junge von nebenan. Genauso alt wie Greta, ehemaliger Klassenkamerad am Christianeum, das Greta wegen galoppierenden Desinteresses an Latein und Altgriechisch sehr bald in Richtung Französisches Gymnasium verlassen hatte. Till hatte das humanistische Abitur kürzlich mit Bravour bestanden, Greta ihr neusprachliches mit Ach und Krach. Tills Vater fuhr einen Bentley von 1964. Gretas Vater einen R5 von 1985.
»Hallo Till. Was willst du denn darstellen?«
»Liebe Annagreta, es ist deine Aufgabe, selbiges herauszufinden.«
Till redete gern so geschwollen, wie sein pickliger Hals aussah. Sie wollte ihn erniedrigen, also sagte sie: »Ein Fischstäbchen?«
»Exakt, meine Liebe. Darf ich dir meinen Glückwunsch für deine schnelle Auffassungsgabe aussprechen?«
»Im Ernst?« Sie musterte ihn von oben bis unten. Auf diese Idee wäre sie selbst gern gekommen. Stattdessen stand sie hier in ihrem Kindergartenkostüm herum. »Und wo ist der Ketchup?«
Till öffnete eine Klappe auf seiner rechten Seite und zog eine Flasche Heinz hervor. Greta war beeindruckt. Aber es kam noch besser. Er öffnete eine zweite Klappe auf der linken Seite und zog ein Glas Miracle Whip hervor. Dann ging eine Bauchklappe auf, und er zeigte stolz auf einen Plastiktopf mit Kartoffelsalat.
»Nicht schlecht«, gab Greta zu, »aber als Würstchen hättest du mir besser gefallen.«
»Das Motto lautet ›Die sieben Meere‹, meine Gute.«
»Dann eben als Stockfisch«, kartete Greta missgelaunt nach.
»In diesem Fall müsste ich mit dem Herrn dort in Konkurrenz treten.« Till deutete auf einen älteren Mann, der sich mit Pappmaschee voll geklebt hatte.
Inzwischen hatte sich die Reihe vorwärts bewegt und geteilt. Man bewegte sich etwas schneller auf die diversen Garderoben zu. Die Damen und Herren Spaßvögel entledigten sich ihrer Mäntel und enthüllten ihre Kostüme, die sich an Originalität, das musste man zugeben, kaum übertreffen ließen.
Natürlich gab es Heringe und Haifische (alles vom Hammerhai bis zur Schillerlocke), elegante Seepferdchen, fröhliche Seesterne, einen protzigen Hummer, einen gut gelaunten Taschenkrebs, eine Ölsardine, sehr zum Verdruss von Gretas Mutter mehrere Kraken, natürlich auch Boote und Schiffe, alles zwischen Ruderboot und Hansekogge, und, weniger originell, Kapitäne, Matrosen, Piraten, Meerjungfrauen, den einen oder anderen Neptun, Wikinger, verschiedene Entdeckerpersönlichkeiten von Kolumbus bis Cook. Ein fröhliches Kollektiv ganz in Blau hatte eine Plastikplane dabei, durch das seine Mitglieder die Köpfe steckten, um ganz einfach das Meer mit seinen Wellen zu symbolisieren. Drei andere hatten sich zusammengetan, um einen kleinen Hafenschlepper zu mimen, und einer lief sogar als Container herum. Ein jungverheiratetes Paar aus
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