Der Schatz des Störtebeker
und fand sie nicht.«
»Was hat er getan?«
»Er ging zurück.«
»Zu seinem Hof und seiner Frau.«
»Leider fand er nur rauchende Trümmer vor, denn in der Nacht, die er mit anderen Obdachlosen in der Kirche verbrachte, war ein Trupp Landsknechte auf seinem Hof aufgetaucht, hatte die Vorräte verzehrt, das Vieh gestohlen und den Hof in Brand gesteckt. Außerdem hatten sie seine Frau erschlagen, die am Abend zurückgekehrt war.«
»Um Himmels Willen.«
»Ja, es ist eine üble Geschichte. Der Hof liegt noch immer in Trümmern, und der arme einsame Ubbo muss sich seitdem als Tagelöhner verdingen.«
Um die Trauer über das schreckliche Schicksal des armen Ubbo zu ertränken, wurden weitere Krüge und Becher geleert. Ubbo trank eifrig mit, denn die beiden jungen Hamburger waren darauf bedacht, ihm besonders viel Trost spendenden Alkohol zukommen zu lassen.
Weil nicht oft hohe Herren aus dem fernen Hamburg in Marienhafe zu Gast waren und weil es noch seltener vorkam, dass derart viel zu trinken spendiert wurde, blieben fast alle Gäste so lange sitzen, bis sich die Reisenden müde und betrunken verabschiedeten. Der Wirt führte sie über eine Leiter unters Dach, wo er ihnen ein bescheidenes Lager aus Strohsäcken bereitet hatte. Er ließ ihnen eine Lampe und verabschiedete sich.
Burchard und Ranke setzten sich auf die Strohsäcke und bemühten sich, ihre Stiefel auszuziehen. Als es ihm endlich gelungen war, sich seines linken Stiefels zu entledigen, sagte Burchard seufzend: »Ein hartes Schicksal.«
»Du meinst diesen Ubbo?«
»Ja.«
»Er hat sich nicht gerade tugendhaft verhalten.«
»Aber er hat alles verloren.«
»Da man nicht gerade behaupten kann, dass er gottgefällig gehandelt hat, scheint mir dieser Schicksalsschlag nur gerecht.«
»Aber die Liebe, in der er zu seiner Magd entbrannt ist… er hat alles verloren, weil er sich aufmachte, sie zu suchen.«
»Du hast zu viele Ritterromane gelesen, mein Lieber.«
»Der Krieg hat so viele Menschen zu Bestien werden lassen, immerhin hat er an die Liebe geglaubt.«
»Ich vermute, lieber Christian, dass er seine Hühner, Schweine und Kühe mit gleicher Hingabe geliebt hat.«
»Du bist ein übler Spötter!«
»Und du ein jämmerlicher Träumer.«
»Hast du nicht gesehen, wie er dreinblickte, dieser arme Kerl?«
»Nun ja, glücklich schien er mir nicht zu sein, obwohl er allen Grund dazu gehabt hätte.«
»Allen Grund?«
»Wir haben ihn freigehalten. So gut wie heute Abend wird es ihm schon lange nicht gegangen sein. Morgen muss er wieder unter der Knute eines Bauern schuften…«
Burchard zog den Stiefel wieder an.
»Was ist los?«, fragte Ranke.
»Wir haben uns schäbig verhalten.«
»Wieso das?«
»Wir haben uns auf seine Kosten amüsiert, ohne uns erkenntlich zu zeigen.«
»Unsinn, es war ja der Müller, der die Geschichte erzählt hat.«
»Aber es war Ubbos Geschichte.« Burchard zog einen Geldbeutel aus seinem Wams.
»Was tust du da?«
»Ich werde ihm etwas geben.«
»Du bist wirklich ein Träumer, Christian.«
Burchard war schon an der Luke und stieg die Treppe hinunter. Er lief in die Gaststube, wo Ubbo und der Müller gerade aufbrachen. Sie schwankten stark und konnten gar nicht aufhören, dem Wirt wohlwollend auf die Schultern zu klopfen.
Burchard ging zu ihnen hin. Als sie ihn bemerkten, bemühten sie sich, ihre Haltung wiederzufinden.
Der junge Hamburger trat vor den schicksalsgepeinigten Ubbo und umarmte ihn. Wirt und Müller sahen mit großen Augen zu. Ubbo blieb zunächst steif wie ein Klotz, dann schlang er seine Arme um Burchard und klammerte sich an ihn, da er für einen Moment das Gleichgewicht verlor.
Burchard hatte Tränen in den Augen, als er den verarmten Bauern wieder losließ. Er fasste ihn mit beiden Händen an den Schultern und sagte mit schwerer Zunge: »Sei tapfer, Ubbo. Bereue, arbeite hart, Gott wird es dir lohnen.«
Ubbo blickte zu Boden und rülpste.
»Ich betrachte es als ein Zeichen Gottes, dass er mich hierher geführt hat, um mir deine Geschichte zu erzählen. Und in Demut vor so viel Leid und Schmerz möchte ich dir diesen Beutel mit Geldstücken geben.«
Ubbo riss ungläubig die Augen auf. Der Müller stieß ihn von hinten an. Ubbo griff nach dem Geldsäckchen. »Danke«, sagte der Müller und stieß Ubbo erneut an.
»Danke«, nuschelte Ubbo.
Burchard umarmte ihn erneut und drückte ihn heftig an sich. Dann ließ er ihn los, drehte sich um und eilte zurück in die Dachkammer. Der Wirt blickte
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