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Der Schatz des Störtebeker

Der Schatz des Störtebeker

Titel: Der Schatz des Störtebeker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Gutberiet
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Man hörte gar nichts. Eine Gegensprechanlage gab es ebenfalls nicht. Das war auch nicht nötig, denn das Dienstmädchen öffnete.
    Es war so ähnlich gekleidet wie eine Kaffeehaus-Serviererin: schwarzer Rock, schwarze Strümpfe, schwarze flache Schuhe, weiße Bluse, weißes Schürzchen und ein weißes Häubchen auf hochgesteckten schwarzen Haaren. Das Haus ist eine Zeitmaschine, dachte Discher. Vor Zeitmaschinen hatte er keine Angst, er fühlte sich manchmal so, als sei er selbst eine.
    »Ja, bitte, der Herr?« Sie hatte ein kantiges, längliches Gesicht, rollte das R wie eine Wolgadeutsche, und ihre dünnen Lippen entblößten spitze Eckzähne, als käme sie aus Transsylvanien.
    »Guten Tag, ich möchte bitte die Dame Burchard sprechen.«
    Das war ihm so rausgerutscht. Normalerweise sprach er nie so geschwollenen Blödsinn, aber das Haus und die Serviererin aus Transsylvanien hatten ihn total verwirrt.
    Sie sprach genauso: »Sind sie ein Freund des Hauses?«
    »Nein, eher Forschungsreisender in Sachen Familienchronik.« Er reichte ihr eine Visitenkarte, die er sich irgendwann mal an einem Automaten im Bahnhof gemacht hatte. Darauf stand »Dr. Jens Discher – Historiker«.
    »Warten Sie bitte, Herr Professor.«
    Sie lehnte die Tür an und verschwand.
    Kurz darauf kam sie wieder: »Frau Burchard wüsste gerne genauer, um was es geht.«
    »Um die Geschichte der Familie Burchard. Ich erforsche da bestimmte Details. Hm, sagen Sie ihr vielleicht noch, es geht um Störtebekers Enkelin.«
    »Störtebekers Enkelin?« Der Name des legendären Seeräubers ging ihr nur schwer über die Lippen.
    »Ja, genau.«
    Diesmal ließ sie die Tür halb offen stehen.
    Es funktionierte. Sie kam zurück, zog die Tür auf und machte eine einladende Handbewegung, dabei bemühte sie sich zu lächeln, was aber eher gefährlich aussah.
    Natürlich gab es eine Eingangshalle und natürlich marmorne Fliesen, eine säulengestützte Galerie, und ein teppichgedämpfter Korridor, beleuchtet von barock anmutenden Wandleuchten, führte in einen Salon, in den man durch eine gläserne Flügeltür schritt.
    Evelyne Burchard, im dunkelgrünen, dezent geblümten hochgeschlossenen Hauskleid, erhob sich vom Sofa in der gemütlichen Sitzecke und blickte ihm prüfend entgegen. Sie war schätzungsweise drei Zentimeter größer als er.
    »Herr Professor Discher?«
    Es wäre sicherlich kontraproduktiv, sie darauf hinzuweisen, dass er nur über einen eher zweifelhaften Doktorgrad verfügte, entschied er.
    »Frau Burchard, ich danke Ihnen, dass Sie mich empfangen.«
    Sie schlenkerte mit dem Handgelenk und ließ mehrere fein gearbeitete Goldkettchen klimpern.
    »Von Empfangen kann keine Rede sein. Wenn Sie mir etwas verkaufen wollen, dann verschwinden Sie lieber gleich, ansonsten sputen Sie sich, Sie haben vielleicht alle Zeit der Welt, ich nicht.«
    »Störtebekers Enkelin«, sagte Discher.
    »So weit waren wir bereits, diese beiden Worte hat Antonio mir übermittelt.«
    Die Erwähnte trat in den Salon, in den Händen ein Tablett mit Teekanne und Service.
    »Herrgott, Antonio, Sie stören jetzt. Muss das jetzt denn sein?«
    Das kantige Mädchen aus Transsylvanien blickte seine Herrin verständnislos an. »Aber ich dachte…«
    »Das Denken überlassen Sie mal den Pferden. Stellen Sie das Tablett hin und verschwinden Sie!«
    »Ja, Madame.«
    »Na, meinethalben, schenken Sie halt ein.«
    »Ja, Madame.«
    Während sie das Tablett abstellte, die Tassen zurechtrückte und dann sogar Tee einschenkte, hatte Discher Gelegenheit, sich umzusehen: Der Salon hätte auch als Schauzimmer eines luxuriösen Polster-und Gardinengeschäfts durchgehen können. Wahrscheinlich war das ganze Haus derart überdekoriert. Alles, von den goldverzierten weißen Tischen, Schränken, Vitrinen und Anrichten bis hin zu den schwungvoll drapierten Brokatvorhängen und den verschwenderisch vielen Leuchten, Lampen und Lüstern, war in übertriebener barocker Üppigkeit gehalten. Hie und da kam zu Weiß und Gold auch ein Hellblau zum Einsatz, das sich mit dem Dunkelgrün des Hauskleids der Hausherrin biss.
    »Nehmen Sie eine Tasse Tee.« Das war eine Feststellung. »Aber setzen Sie sich vorher hin.«
    Discher setzte sich auf einen geblümten Sessel auf der anderen Seite des Couchtisches. Evelyne Burchard legte einen Arm auf die Sofalehne und begann mit der anderen Hand, eine strahlend weiße Plüschkatze zu kraulen, die unter einem Kissen hervorgekrochen war.
    »Also bitte, Herr Professor.«

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