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Der Schatz des Störtebeker

Der Schatz des Störtebeker

Titel: Der Schatz des Störtebeker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Gutberiet
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Holzwand gelehnt, die Arme schützend vor der Brust, stotterte der Mann: »Was denn?«
    Burchard fasste ihn mit beiden Händen an den Schultern und rief: »Was ist aus der Brosche geworden?«
    »Die Brosche?«
    »Aber ja, die Brosche! Die Magd hat die Brosche mit in die Stadt genommen. Sie wurde von Soldaten getötet. Was wurde aus der Brosche?«
    »Ja, ja, die Soldaten haben sie genommen.«
    »Die Soldaten? Und dann? Einer von ihnen muss sie doch behalten haben.«
    »Ich… ich weiß nicht.«
    Da tauchte die Gestalt des Müllers neben ihnen auf.
    »Sie haben sie zersägt«, sagte er seelenruhig.
    Burchard ließ Ubbo los, der zusammensackte und auf dem Boden sitzen blieb, und drehte sich um.
    »Was?«
    »Die Soldaten konnten sich nicht einigen, wer von ihnen die Brosche behalten sollte. Also haben sie sie von einem Schmied durchsägen lassen. Er machte drei Broschen daraus, und jeder bekam eine davon.«
    »Glaube, Liebe, Hoffnung, auseinander gerissen.«
    »Ja, ganz recht.«
    »Und wo sie hin sind…«
    »… weiß kein Mensch zu sagen.«
    »Ich danke euch.«
    Burchard wandte sich ab und stieg wieder auf sein Pferd.
    »Lebt wohl.«
    Der falsche Müller hob die Hand zum Abschied. Ubbo regte sich nicht.
    Als Burchard außer Hörweite war, atmete der falsche Müller hörbar aus und sagte: »Puh, ich dachte schon, er wollte sein Geld wiederhaben.«
    Dann reichte er Ubbo die Hand und zog ihn auf die Beine.

22. FEBRUAR NACHMITTAGS
    Jens Discher stand vor der Villa am Klein-Flottbeker Weg und dachte: Scheiße, die haben sich ernsthaft zwei griechische Säulen rechts und links neben das Portal gestellt. Soll mir noch mal jemand mit der berühmten hanseatischen Bescheidenheit kommen. Das Grundstück, auf dem das monumentale Gebäude stand, wurde teilweise von einer Steinmauer, teilweise von einem eisernen Zaun eingefasst, eine Auffahrt führte im Halbkreis zum Portal, wo man über breite Treppenstufen zu dem säulenbewehrten Eingang steigen konnte. Das Häuschen für den Chauffeur, mit Garage im Erdgeschoss und Junggesellenwohnung darüber, stand etwas abseits. Eine Betonmischmaschine und zwei Erdhaufen wiesen darauf hin, dass Bauarbeiten im Garten durchgeführt wurden.
    Das Tor zur Auffahrt war offen, doch das Vertrauen der Bewohner der Othmarschener Villa ging nicht so weit, dass sie auf die schmiedeeisernen Gitter vor den hohen Fenstern im Erdgeschoss verzichtet härten.
    Jens Discher zögerte. Er hatte den R5 auf der anderen Straßenseite halb auf dem Gehsteig geparkt. So schief wie sie da stand, wirkte die Rostlaube ziemlich deplatziert, sah sowieso armselig aus. Er strich sich die Breitkordhose glatt, warf einen Blick auf seine fleckigen, ausgelatschten Timberland-Stiefel und zog seine dunkelbraune Wildlederjacke gerade. Zwecklos, oder? Er trug einen Dreimonatsbart, und wie ein Friseurladen von innen aussah, hatte er längst vergessen. Graue Locken fielen ihm ins Gesicht und auf die Schultern. Die braune Ledertasche, die er unter den Arm geklemmt hatte, war verkratzt und sah aus, als sei sie eigentlich nur für die Aufnahme von Frühstücksbrot und Thermoskanne gedacht. Vielleicht noch einen Apfel oder eine Banane dazu. Daran hatte er natürlich nicht gedacht. Nur ein Ringblock und zwei Bleistifte befanden sich darin.
    In der Staatsbibliothek hatte er eine Menge Seiten des Ringblocks voll gekritzelt mit neuen Literaturhinweisen und Abschriften aus uralten Folianten, auseinander gebrochenen Lederbänden mit Reiseberichten und sorgsam gepflegten Familienchroniken. Vor einiger Zeit war er im Zusammenhang mit seiner Forschungstätigkeit in Sachen Störtebeker auf den Namen Burchard gestoßen. Daraufhin hatte er eine Menge Hebel in Bewegung gesetzt beziehungsweise Tasten am Computer gedrückt, hatte diverse Wirtschaftsbibliotheken und hanseatische Archive aufgesucht. Die historischen Spuren und Indizien, die nüchternen amtlichen Vermerke, die verschrobenen persönlichen Notizen, die schwärmerischen biografischen Abhandlungen und geschönten Aufzeichnungen einflussreicher Familien hatten ihn schließlich nach intensivem und Zeit raubendem Studium zu dieser Adresse geführt. Nun stand er da, und die Säulen machten ihn nervös.
    Er ließ den Linienbus vorbei, überquerte die Straße, ging die halbkreisförmige Auffahrt entlang, stieg die Treppe zum Portal hoch und las den Namen auf dem schlichten Messingschild: Burchard. Darüber der Klingelknopf. Kein Gong ertönte, wie er es erwartet hatte. Es rasselte auch keine Klingel.

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