Der Schatz des Störtebeker
Aufforderndes Armreifklimpern.
»Ich arbeite an einer historisch-kritischen Darlegung des Störtebeker-Mythos…« Er hielt irritiert inne. Ihre grünen Augen blitzten auf. Deshalb trug sie grün, wegen der Augen. Aber warum hatte sie dann nicht die Wohnung ihrer Augenfarbe entsprechend eingerichtet.
»Ja und? Weiter!«
»Entschuldigen Sie, äh, na ja, ich habe über die Jahre hinweg eine Menge Fakten und Quellen zusammengetragen. Es wird darauf hinauslaufen, dass die Geschichte Hamburgs und der Hanse und ihres Verhältnisses zur Seeräuberei neu bewertet werden muss.«
»Ach ja?«
»Die Seeräuber oder besser gesagt Freibeuter des Mittelalters, wurden bisher grundsätzlich als Feinde der Hanse beschrieben. Tatsächlich waren sie zu einem beträchtlichen Teil Mittel zum Zweck hansischer Machtausdehnung. Vielfach sogar Söldner, jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als sie unnütz wurden. Denken Sie an den dänisch-schwedischen Krieg und die Rolle der Hansestädte Rostock und Wismar, die die Vitalienbrüder mit Kaperbriefen ausstatteten, sie also auf Raubzüge schickten. Zunächst wurden die Piraten von der Hanse gehätschelt, aber auch von holländischen Grafen und ostfriesischen Häuptlingen gefördert, weil sie als billige Söldner im Kampf um die Ausdehnung der Herrschaftsgebiete nützlich waren. Die grundlegende Frage ist nun in diesem Zusammenhang: War es nicht ein Verbrechen, dass die Hamburger Ratsherren ihre einstigen Verbündeten auf dem Grasbrook abschlachteten… Ich meine, ja, das war es, zumal die Hamburger sich einige Zeit später in Ostfriesland beim Versuch, unliebsame Machtfaktoren auszumerzen, als schlimmere Barbaren erwiesen, als es die Seeräuber jemals gewesen sind… Und wenn ja, ich meine wenn es genügend Anhaltspunkte gibt, die eine Anklage rechtfertigen würden, dann sollte man einen historischen Gerichtshof einberufen… Mord verjährt nicht! Hinzu kommt…«
»Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Herr Professor. Aber erstens trinken Sie Ihren Tee nicht, und zweitens scheint Ihnen gar nicht bewusst zu sein, dass mich Ihre historischen Ausführungen kaum, um nicht zu sagen, in keiner Weise, interessieren.«
Discher nippte an seinem Tee und stellte die Tasse wieder hin. »Ja, ja, entschuldigen Sie. Natürlich ist dies nicht der Ort, um eine Vorlesung zum Thema zu halten.«
»Ganz recht.«
»Aber dass Sie das nicht interessiert, glaube ich Ihnen nicht, Frau Burchard.«
Wieder blitzten die grünen Augen. »Ach nein?«
»Entschuldigen Sie bitte, wenn ich mich jetzt vielleicht etwas plump ausdrücke, aber Sie als Oberhaupt Ihrer Familie, als das ich Sie wohl bezeichnen darf, jedenfalls weisen alle meine Informationen darauf hin…« Evelyne Burchard nickte. »Sie als Oberhaupt der traditionsreichen Familie Burchard, die seit Jahrhunderten nicht nur ihren eigenen Wohlstand, sondern auch den Reichtum der Stadt gemehrt hat und mehr Ratsherren und Senatoren gestellt hat als alle anderen… nun ja, ich bitte um Verzeihung, aber Ihre ehrenwerte Familie stammt eigentlich von dem angeblich blutrünstigsten Piraten der deutschen Geschichte ab, von Klaus Störtebeker.«
»Nun setzen Sie mich aber in Erstaunen, Herr Professor.«
»Ja, das dachte ich mir.«
»Nicht wegen dieser Räuberpistole, die sie mir da auftischen wollen, lieber Herr Discher, sondern angesichts des Umstandes, dass Sie als seriöser Akademiker sich mit derartigen Lächerlichkeiten abgeben.«
»Es sind keine Lächerlichkeiten, liebe Frau Burchard. Ich habe allerhand Fragmente aus alten Aufzeichnungen zusammengetragen, die meine Theorie bestätigen. Und ich weiß auch, dass es eine Familienchronik der Burchards gibt, in der seit der Hansezeit alle wichtigen Ereignisse und Entwicklungen festgehalten wurden. Darin wird zweifellos auch verzeichnet sein, dass ein gewisser Jan Burchard die Enkelin Störtebekers und der ostfriesischen Häuptlingstochter Helga ten Broke entführt hat.«
»Da hat man Ihnen aber einen gehörigen Bären aufgebunden, mein lieber Professor.«
»Die Chronik, in der diese Geschichte verzeichnet sein muss, verschwand während des großen Brandes im Jahr 1842, als das Rathaus zerstört wurde, aus dem Staatsarchiv.«
»Es ist alles ein Raub der Flammen geworden.«
»Nein, nein, ein gewisser Carl Alexander Burchard hatte damals die Oberaufsicht über das Archiv und den größten Teil der Papiere gerettet.«
»Aber nicht alles, Herr Professor.«
»Sie wollen mir erzählen, dass er die bedeutsamste
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