Der Schatz des Störtebeker
die aus der Schatulle des neuen Herrn?«
»Ja.«
Er deutete auf die zweite, dann die dritte: »Die auch? Die auch?« Dann auf zwei nicht vorhandene: »Die auch? Die auch?«
Burchard gab ihm seufzend zwei weitere Münzen.
»Gut, Ihr könnt passieren.«
»Offne das Tor, ich hole die Kutsche.«
Kurz darauf rollte die Kutsche mit den Abgesandten des neuen Herrschers durch das Stadttor. Der Wachposten salutierte mit hämischem Grinsen.
Im Schloss, so hatte man der Delegation des Fürstbischofs vor ihrer Abreise zu verstehen gegeben, würden sie zunächst nicht wohnen können. Zum einen hausten dort noch einige Beamte der alten Verwaltung, zum anderen war das herrschaftliche Gebäude durch jahrzehntelange Vernachlässigung teilweise arg verwahrlost.
Man quartierte sich also in einem Gasthof am Markt nahe der großen Kirche ein. Das Gasthaus zum Ochsen war ein wuchtiger, dreistöckiger Bau mit Walmdach. Im Erdgeschoss befand sich die Wirtsstube, im ersten Stock lagen die Fremdenzimmer, im obersten Stock wohnten die Wirtsfamilie und ihre Bediensteten.
Als die Kutsche vor dem Haus anhielt, die Fahrgäste ausstiegen und Kutscher und Postillion sich daranmachten, die Koffer abzuladen, kam der Wirt händeringend aus dem Haus.
»Oh, meine Herrschaften«, sagte er und zupfte nervös an seiner Schürze, »wir haben gar nicht mehr mit Euch gerechnet.«
Nicolai, Eckart und Schwenk ignorierten den Wirt und blickten sich um, als wollten sie in der Dunkelheit das Stadtbild studieren. Es war Burchards Aufgabe, mit dem Wirt zu verhandeln. Im Glauben, die Delegation des neuen Herrschers käme nach Torschluss nicht mehr in die Stadt, hatte er zwei ihrer Zimmer reisenden Kaufleuten aus England versprochen. Die musste er nun wieder ausquartieren. Es gab viel Geschimpfe, denn die Engländer waren gezwungen, auf der anderen Seite des Marktplatzes Quartier zu beziehen, was sie als erniedrigend empfanden.
Während Burchard sich um die Zimmer kümmerte und den Kutscher entlohnte, machten es sich Nicolai, Eckart und Schwenk in der Gaststube bequem. Als Burchard zu ihnen trat, beauftragten sie ihn, zum Bier noch Brot und Braten zu bestellen. Burchard musste die Bestellung bei der Tochter des Wirts aufgeben, die hinter einem wuchtigen Tresen stand. Sie war eine ausnehmend hübsche Person mit einem reizenden runden Gesicht unter einer spitzenbesetzten rosa Haube, die in dunklem Rock mit weißer Schürze, gelbem Jäckchen keusch und rein gewirkt hätte, wenn nicht ihr Brusttuch verrutscht gewesen wäre, das einen Teil ihrer vollen Brüste freigab. Burchard starrte fasziniert auf einige kecke Sommersprossen. Das Brusttuch wurde zusammengehalten von einer seltsam formlosen Brosche, die silbern glitzerte.
Burchard setzte sich zu seinen Gefährten, aber seine Augen folgten ihr, während sie durch den Raum eilte, um die Gäste zu bedienen. Er bildete sich ein, dass ihr Blick sich immer wieder ihm zuwandte. War da nicht ein leises Lächeln, das ihre vollen Lippen umspielte?
Nicolai machte einen Witz über das Fleischangebot des Gasthauses, und Burchard wandte sich mit leicht rotem Kopf dem Bratenstück zu, das der Architekt ihm auf den Teller gelegt hatte.
Nach dem zweiten Bratenstück und dem dritten Bier wurde Burchard nervös. Schon wieder war er im Begriff, vom rechten Weg abzukommen. Anstatt mit seinen Begleitern über die Aufgaben der nächsten Tage und Wochen zu debattieren, stellte er mit seinen Blicken dem schönen Mädchen nach, das offenbar Gefallen daran fand. Schleunigst begann er, sich am Fachgespräch zu beteiligen. Schwenk war auf seinem Zimmer gewesen, hatte einen Plan der Stadt mitgebracht und diskutierte mit Nicolai über die zahlreichen Ideen zur Umgestaltung des Stadtbildes, die der Fürstbischof ihnen mit auf die Reise gegeben hatte. Viel hatten sie von dem Ort ja noch nicht gesehen, aber dass die Befestigungsanlage nichts mehr taugte, war ihnen gleich klar gewesen, als ihre Kutsche vor dem Haupttor zum Halten gekommen war. Eckart schlug vor, die Wallanlagen in Promenaden umzuwandeln. Nicolai und Schwenk diskutierten die Idee mit wachsender Begeisterung.
Burchard wurde sehr schnell müde. Er trank noch einen Krug Bier, schlurfte völlig ermattet und mit schwer gewordenen und von der Kutschfahrt noch immer schmerzenden Gliedern in den Hinterhof zur Latrine und erleichterte sich ausgiebig.
Auf dem Weg zurück zur Gaststube begegnete er unversehens der hübschen Tochter des Hauses, von der er inzwischen wusste, dass sie
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